: Durch den Sport Gesicht gewinnen
■ Der Landesausschuß Leistungssport präsentiert voller Stolz sein ehrgeiziges „Berliner Spitzensportkonzept“/ Die Stadt soll unter dem schwarz-roten Senat zur Sportmetropole mit Weltniveau hochgepowert werden
Berlin (taz) — Manfred von Richthofen, Präsident des Landessportbundes Berlin (LSB), kann sein Glück noch gar nicht fassen. „Alle Daten des LSB sind vom neuen Senat in das Regierungsprogramm übernommen worden“, frohlockt der Berliner Sportlenker. Vorbei sind die Zeiten, als sich ein renitenter AL- Staatssekretär den Plänen des Dachverbandes entgegenstellte. Nun zählen nur noch Superlative. Das Ziel des LSB: Berlin soll Sportstadt mit Weltniveau werden.
„Wir sind der Waigel-Zange entronnen“, atmet von Richthofen durch. Der Bonner Sparkommissar wird auch 1991, trotz allgemeiner Finanzmisere, den Leistungssport weiterhin großzügig alimentieren. Allein für den Aufbau der fünf neuen Olympiastützpunkte (OSP) in der ehemaligen DDR wird der Bayer dem zuständigen Innenminister zehn Millionen Mark überweisen. Davon fließt ein Fünftel in den Ostteil Berlins, dessen Kaderschmieden früher auf internationalen Sportveranstaltungen fast so viele Medaillen scheffelten wie alle übrigen Vereine der Edelmetall-Hochburg DDR zusammen. Auf den bereits existierenden OSP im Westteil der Stadt entfallen — wie schon 1990 — nochmals fast zwei Millionen Mark.
„Die veränderten politischen Grundverhältnisse bieten für Berlin die besondere Chance, [...] mit einem erfolgreichen Spitzensport zum Profil einer Weltstadt beizutragen“, umreißt ein Papier des Landesausschusses Leistungssport nur vage das bahnbrechende „Berliner Spitzensportkonzept“. Vier Millionen Mark für den kleinen Stadtstaat Berlin: „Eine exzellente Basis für höchste sportliche Leistungen“, wie Armin Baumert, Leiter des Westberliner OSP, erfreut zugibt.
Als Faustpfand des erstarkten LSB gelten die rund „600 Berliner Kaderathleten der Kategorien A und B“ (Baumert). Von dieser olympiaverdächtigen Spezies, schätzt der OSP-Chef ein, tummeln sich bundesweit etwa 5.000 „Exemplare“. Ein deutliches Zeichen für den sprunghaft gestiegenen Stellenwert des Berliner Sports. „Wir müssen diese hervorragende Ausgangsposition verteidigen“, fordert von Richthofen, früher stellvertretender Vorsitzender der Berliner CDU. Von politischer Seite hat er wenig Widerstand zu befürchten. Schließlich ist der kommende Sportsenator Jürgen Klemann (CDU) schlichtweg ein „sportbegeisterter Mann“ (siehe Kasten). Sein als Staatssekretär gehandelter Adjudant Günther Bock (CDU), Wahlkampfmanager der Konservativen, hat bereits unter Senatorin Hanna-Renate Laurien keine Aversionen gegenüber Höchstleistungen aller Art erkennen lassen.
Zielstrebig soll nun die Infrastruktur für einen aufgemotzten Leistungssport geschaffen werden. Neben den bereits 50 von Bonn bestallten Bundestrainern und ebenso vielen „trainingsbegleitenden“ Personen (Physiotherapeuten, Mediziner etc.) will der LSB seinen bisherigen Stab von 60 eigenfinanzierten Landes- und Verbandstrainern aufstocken. „Die jetzige Zahl ist absolut unzureichend, um unser Konzept zu tragen“, glaubt Peter Schwarz, LSB- Referent für Leistungssport. Auf 80 Planstellen schätzt Schwarz den künftigen Bedarf an landeseignen Ausbildern. In den vormaligen Tempeln des DDR-Sports (Sportforum Hohenschönhausen, TSC-Komplex, Sportzentrum Hoppegarten sowie der Regattastrecke Grünau) werden sie generöse Traingscamps vorfinden. Der Treuhand sei Dank!
Die sonst so schläfrige Bundesstelle für die Abwicklung der DDR- Konkursmasse hat diese Sportstätten längst der Obhut des Landes Berlin überstellt. Selbst die Kinder- und Jugendsportschulen (KJS), einst Symbol für den „anrüchigen Sport-Sozialismus von der Wiege bis zum Doping“, könnten in die hochfliegenden LSB-Pläne eingespannt werden. An den vier Beliner KJS lernen zur Zeit 2.186 SchülerInnen (davon 150 A- bis C-Kader). Ab September werden die Anstalten womöglich Talente für den neuen (bundesdeutschen) Sport heranziehen, der — wie LSB-Präsident von Richthofen nicht müde wird zu behaupten — „auf der Freiwilligkeit einer freiheitlichen Gesellschaft beruht“.
Man mag dies für einen schlichten Etikettenschwindel halten, doch entspräche er der inneren Logik des gegenwärtigen Hochleistungssports: Weil sich viele ältere Ex-DDR-Athleten nur noch für die Olympischen Spiele 1992 schinden, macht sich der LSB Sorgen um die jungen Nachwuchsstars in Ostdeutschland. Der neuentdeckte Konsumrausch vieler DDR-Kinder läßt die Plackerei in einem anderen Licht erscheinen und könnte bei den Funktionären rasch zu einem Kater führen. „Die Auswirkung der Vereinigung auf den Sport“, erkennt Manfred von Richthofen in weiser Voraussicht, „spüren wir erst nach 1992. Vieles wird davon abhängen, ob es uns gelingt, den Nachwuchs mit psychologischen und pädagogischen Mitteln bei der Stange zu halten.“ Jügen Schulz
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