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„Wer ist Martina Schönebeck?“

Gysis Gegenkandidatin für den PDS-Parteivorsitz erhielt 21 Prozent der Stimmen/ Parteitag der politisch-konfusen Kontinuität/ „Die PDS ist, weil sie da ist“/ Golfkrieg überdeckt die Lethargie  ■ Aus Berlin Petra Bornhöft

Kein Zappeln, kein Wippen mit dem Stuhl. Regungslos blickt Gysi an die Decke, als ginge ihn die Rede seiner Gegenkandidatin nichts an. „Nun stellt sich der Kandidat Gysi vor“, schnarrt die Stimme des Tagungsleiters in den Hörsaal des PDS-Hauses. Ein ungewöhnlich grimmiger Blick schleicht sich in die Miene des beim Parteivolk so populären Vorsitzenden. Er steht auf, knöpft sich umständlich das Jackett zu, geht zum Rednerpult — und weiß nicht, was er sagen soll: „Also...“, Pause, „Martina“, Pause, „also wo wir uns wohl schon seit Urzeiten kennen“, Pause, „ich finde es ganz toll, daß du kandidierst“, schlecht geflunkert, Pause, „aber ich trete ungern gegen Frauen an.“ Glatt gelogen, aber der Schlenker muß sein, denn seine Gegenkandidatin, die 42jährige Köpenicker Psychologin Martina Schönebeck hat im Sturmflug die Sympathien des Parteitages erobert. Ihr Auftritt Samstag nacht wirkte wie eine erfrischende Dusche für die rund 600 Delegierten, die sich am Wochenende vorgenommen hatten, diverse „politische Signale“ auszusenden. Doch schon am Nachmittag hatte eine Delegierte moniert: „Die PDS ist, weil sie da ist. Und das reicht wohl nicht.“

Für ein Klima, das den politischen Streit auf die Personaldebatte verschiebt, sorgte Gysi gleich zu Beginn des Parteitages. Neunzig lange Minuten verbreitet er nichts, was er nicht schon mal gesagt hätte. Es ist eine Rede, die sich nahezu ausschließlich mit der SED-Politik und den Problemen in den fünf neuen Ländern befaßt. Westdeutsche führten sich im Osten auf, „als ob sie Sieger nach einem Krieg wären“. Der Satz garantiert ebenso Beifall wie die Aufforderung zum „Widerstand gegen die Besatzermentalität“. Enttäuscht sind nur wenige. „Eine Rede der Kontinuität“, interpretiert ein Delegierter, „so bleiben wir die Ostpartei.“ Dabei schien es so, als habe sich die „Ostpartei“ aus ihrer Erstarrung gelöst. Beim Tagesordnungspunkt Golfkrieg überstürzen sich die Berichte über Mahnwachen, Unterschriftensammlungen, Demos im Kreis Wolmirstedt, Erfurt, Halle oder Dresden. Staunend freut sich Pragmatiker Gysi leise: „Es ist ein Wunder, wie diese Partei binnen einer Woche aus der Lethargie erwacht ist.“ Der theoretische PDS-Kopf, Andre Brie, unternimmt einen Versuch, die komplizierte Situation am Golf zu analysieren — vergeblich. Statt dessen die Mahnung von einem Hamburger: „Wir müssen auf die alten Grundpositionen zurückkehren und den Imperialismus im eigenen Land bekämpfen.“

Da blitzt ein Streit auf, der in der Partei seit Monaten schwelt: Für viele Ostdelegierte taugen die „arroganten Fischköppe“ aus dem Westen, jene „Besserwessis“ und „Laberheinis“ nur zum „endlosen Theoretisieren“. Doch darüber wird nur hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Statt dessen lesen die RednerInnen ihre Statements vom Blatt ab: für Antikapitalismus, für den Reformismus, gegen Neofaschismus und Rechtsextremismus — Zwischenruf: „Bei uns in Lichtenberg ist auch der Linksextremismus ein starkes Problem“ — für den Behindertenverband und selbstverständlich gegen das Patriarchat, gelegentlich auch für die freie Männerwahl.

So scheint es nur konsequent, daß eine „Politische Erklärung“ verabschiedet werden soll, in deren „Warenhauskatalog man vergeblich nach einer Orientierung für sein politisches Handeln suchen wird“, wie Westler Michael Stamm konstatiert. Es ist wohl eher das Bedürfnis, „überhaupt irgend etwas zu verabschieden“, resigniert ein Präsidiumsmitglied, „das war immer so auf Parteitagen“.

Nicht Sachthemen, sondern Personalfragen haben die Gemüter bereits am Vorabend und in diversen Pausendiskussionen aufs äußerste erhitzt. Die Überraschung: Gysi hat eine Gegenkandidatin. Doch: „Wer ist Martina Schönebeck?“ Verschmitzt lächelnd und energisch streicht sich Gysis Gegenkandidatin und Ex-Volkskammerabgeordnete übers Kleid. „Viele haben mich gefragt, ob ich verrückt oder pathologisch ehrgeizig bin“, sagt die 42jährige Großmutter aus Köpenick, „das bin ich nicht, ich bin Psychologin.“ Sie habe kein anderes Programm als Gysi, sei wie er „ursprünglich Rinderzüchter“ und halte „es einfach für eine Frage der Demokratie, daß eine zweite Person kandidiert. Manche sagen ja, die Partei bestehe nur aus Gysi.“ Wie befreit klatschten Hunderte, während Gysi steif und stumm leidet. Ob sie denn auch für den Stellvertreterposten oder als Bundesgeschäftsführerin kandidieren würde? „Ja“, lautet die schlichte Antwort.

Die Frage ist brisant: In die fünfköpfige Parteispitze — Vorsitzender, drei Stellvertreter, Bundesgeschäftsführer — sollen zwei Westler, im Sinne der „Öffnung der PDS nach Westen“. Die Mehrheit der Ostdelegierten, ohnehin geneigt, den ungeliebten Wessis eins auszuwischen, goutiert zunächst die anhaltenden Streitereien der neuen Genossen, die sich nicht so recht auf einen Personalvorschlag einigen können. Gnadenlose Verhöre der beiden Westfrauen beginnen: „Welche Basis hat dich legitimiert?“, „Sag mal was über dein politisches und sonstiges Vorleben, Christiane.“ „Bist du, Monika Balzer, nun die Kandidatin der kommunistischen Plattform?“ „Wie lauten die drei Schwerpunkte sozialistischer Politik in Westdeutschland?“ Mitten in dem nächtlichen Tohuwabohu spannt ein Delegierter den Regenschirm auf, als hätte er Christiane Reymanns Pausenworte im Kopf: „Bitte verhindert, daß der Streit von uns Westlinken ungefiltert auf den Parteitag niederregnet.“ Er prasselt.

Über die Kandidatinnen erfährt man wenig: Die eine schweigt, die andere, Christiane Reymann (41), Initiatorin der Linken Liste/PDS, war 20 Jahre in der DKP und ist seit einer Woche in der PDS. Ihre Ehe mit Wolfgang Gehrcke, ebenfalls Ex-DKP und Kandidat für den Bundesgeschäftsführerposten, kommt kurz vor drei Uhr zur Sprache: „Es kann doch wohl nicht sein, daß in einem fünfköpfigen Gremium ein Ehepaar die Politik bestimmt.“ Gysi hatte die WestlerInnen vor „Befindlichkeiten des Parteitages gegenüber Ehen“ gewarnt (Erich und Margot selig). Sie hörten nicht auf ihn. Er ging. Entnervt fiel dem Parteichef um 3.30Uhr auf, daß er sich beim Parteivolk noch nicht für seine 79prozentige Wahl vor Mitternacht bedankt hatte. Gysi bat um „Würde und Anstand“ für den nächsten Morgen. Da ging das Gezanke weiter. Christiane Reymann fiel im ersten Wahlgang durch, zog zurück. Die Wahl wurde auf den Sommer verschoben. MdB Andrea Lederer aus Hamburg beeilte sich zu versichern: „Das ist nicht das Scheitern der Zusammenarbeit der Partei mit den Westlinken.“

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