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Flüchtiges Abschiedswinken

■ »Vorübergehend« — eine Kunstauslage in der Chausseestraße

Was man als Heimat empfindet, beruht nicht zuletzt auf einigen Rezepten in der Farbabmischung der chemischen Industrie. Das fahle Gelb der Ostberliner Verkehrsampeln kann von den Fahrern aus dem Westteil kaum als Warnung vor kommendem Rot und Aufforderung zum Abbremsen ernstgenommen werden. Die Kulisse der nächtlichen Lichter hat in jedem Land einen anderen Klang; diesem Konzert der Harmonien und Dissonanzen, der verschwenderischen Überblendungen und der dunklen Löcher jagt Resi Meister seit 1988 nach.

Gemeinsam mit Ute Wiegand und Renate Hampke hat sie jetzt die Schaufenster eines Ladens in der Ostberliner Chausseestraße gestaltet. Die drei Westberliner Künstlerinnen verstehen ihre Kunstauslage Vorübergehend als ein flüchtiges Abschiedswinken an das langsam verblassende und von grelleren Tönen überblendete Gesicht der Warenkunst der DDR. Aus dem Abfall einer Gesellschaft, die durch gewaltsame Abtrennung ihrer äußerlichen Erkennungszeichen ihre Gestalt ändern will, haben sie eine kleine Collage zusammengesetzt. Jene Distanz, aus der der westliche Betrachter das unvertraute östliche Design wahrnimmt, nutzen sie für die minimale Verfremdung, die das Alltägliche im Kunstkontext erfährt.

Resi Meister betrachtet ihre Dias der Leuchtreklamen aus fremden und vertrauten Städten als subjektive Aufzeichnungen ihrer Wege. Selten nur sind die Schriftzüge zu lesen; zu langen Schlieren verwischt, zu kontrastreichen Farbballungen verschmolzen, liefern sie Bewegungsmuster, Rhythmen und Richtungen. Erst im letzten Jahr gewannen die Bilder dokumentarische Bedeutung, als ihre Motive in Ost-Berlin durch westliche Stereotypen ersetzt wurden. Selbst unter den Straßenlaternen fällt jede neu eingeschraubte Birne durch kalten Glanz auf. Eingerahmt zwischen den Leuchtkästen für Lego-Bausteine und Marlboro- Zigaretten projeziert Baumeister nach Anbruch der Dunkelheit die Logos von »Löffelerbse« und »HO«, »Obstwaren« und »Literaturclub« mit einem Bildwerfer an die Ladentür.

Renate Hampke, die oft in Papieren, Tapeten, Borken und Pappen minimalistische Muster und Strukturen schneidet, hat unter dem ausrangierten Zubehör der Mode gekramt und dabei in Fotokartons mit eingeritzten Schlitzen für das Einstecken der Bilder, ein ihre Arbeitsmethode vorwegnehmendes Material gefunden. Mit alten Modefotografien arrangiert sie eine nostalgische Ecke, gewidmet dem popeligen Charme winziger Modelädchen. Sie entdeckte auch einen Ort für die Ausstellung, den Laden einer Waffen-Reparaturwerkstatt der PGH Feinmechanik. Dessen nur vorübergehende Öffnung an zwei Tagen in der Woche gab der Ausstellung ihren Namen Vorübergehend, der sich auf die kurze Ausstellungsdauer, den Wandel der Warenkulisse und die flüchtige Aufmerksamkeit der Passanten beziehen läßt.

Ute Wiegand hat aus alten Warenständern, die ein Geschäft gegenüber gegen »moderne«, kaum anders aussehende und funktionierende Gerüste ausgetauscht hat, eine klassische Pyramide gebaut. Über dem leeren Gerüst prangt das Schild »Wunschkasten«: Hinter dieser Bezeichnung vermute ich irgendeine poetische Umschreibung, die sich auf nicht vorhandene Waren bezog. Auch Wiegand knüpft mit diesen Bauelementen an ihre Technik der entfremdeten Verwendung vorgefertigter Verpackungsmaterialien an. Das ästhetische Recycling der alten Warenästhetik kommentiert deren Neuerung als des Kaisers neue Kleider. Katrin Bettina Müller

Vorübergehend. Chausseestraße 123, 1040 Berlin, täglich 17-24 Uhr, bis 2. Februar.

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