: Bremen-Kattenturm: Wenig Müsli, viele Schulden
■ Strukturanalyse über das Leben in Kattenturm / Über Essen, Schulden, Krankheit / Bremen „toll“, Kattenturm weniger
Ein Wohnblock und noch ein Wohnblock und noch viele Wohnblocks — das ist Kattenturm. In Zeiten großer Wohnungsnot in Bremen, zwischen 1968 und 1971, wurde der Stadtteil im Süden aus der grünen Wiese gestampft. Heute, 20 Jahre später, bedürfen die Klötze des sozialen Wohnungsbaus „dringend einer Nachbesserung“, so Ortsamtsleiter Sigmund Eibig.
Im September 1988 begannen das statistiche Landesamt und die Universität mit einer Strukturanalyse, gedacht als Grundlage für künftige Verbesserungen. Wie oft in der Woche essen die Kattenturmer Fleisch, haben sie Schulden, fühlen sie sich in ihrem Stadtteil wohl?, wollten die Wissenschaftler von 1042 Haushalten im Zentrum des 13.000 Einwohner zählenden Stadtteils wissen. 341 ließen sich von studentischen Interviewern auf den Zahn fühlen. Was dabei herauskam, wurde gestern auf einer Pressekonferenz vorgestellt.
Das herausragende Ergebnis: 97,3 Prozent der Befragten finden Bremen ganz toll. Mit ihrer unmittelbaren Wohnumgebung in Kattenturm waren dagegen nur 28 Prozent „sehr zufrieden“, immerhin noch 48 Prozent „zufrieden“, aber fast ein Viertel „sehr unzufrieden“. Vermißt werden vor allem Sportanlagen, Kommunikationsstätten, kulturelle Einrichtungen und Grünanlagen.
Die Uni untersuchte „private Verschuldung“, „Ernährungs- und Einkaufsverhalten“ sowie „Altenpflege“. 76 der 341 Befragten gab an, Schulden zu haben. Die meisten von ihnen sind unter 40, leben in Mehrpersonenhaushalten und haben ein geringes Einkommen. „Schulden werden hier nicht gemacht, um langfristige Anschaffungen zu finanzieren, sondern um die Lebensführung zu bestreiten“, erklärte Wolfgang Chr. Fischer, „nicht um ein Auto zu kaufen, sondern um das Benzin zu bezahlen, die Gasrechnung oder die Miete.“ Den insgesamt niedrigen Lebensstandard der BewohnerInnen spiegelt auch Hartmut Frölekes Untersuchung zur Ernährung wider. „Ernährung ist hier kein Thema, die Menschen haben andere Sorgen“, bilanzierte der Wissenschaftler das Desinteresse an Bio-Kost oder Ernährungsberatung. Allgemeiner Wunsch: Ein reelles Stück Fleisch auf den Tisch, dazu Kartoffeln und Gemüse. Mehr als ein Drittel, bei Familien mit Kindern sogar über die Hälfte des Einkommens wird nach Schätzungen der Befragten für die Ernährung ausgegeben. Die meisten fühlten sich durch die Kost von Aldi und Comet gut ernährt.
Um die Situation von Alten in Kattenturm zu verbessern, bräuchte man größere, altengerecht ausgebaute Wohnungen, erfragte Klaus Jürgen Bönkost. Altenpflegeheime sind schlecht angesehen. Der Wunsch nach Pflege zu Hause ist groß, klein dagegen die Bereitschaft, pflegebedürftige Familienmitglieder in den eigenen vier Wänden aufzunehmen. Wie Kattenturm lebens- und liebenwerter werden könnte, weiß der Stadtteilbeirat nun, wie die notwendigen Investitionen bezahlt werden sollen, allerdings nicht. „Als wir 1988 begannen, haben wir noch mit viel Engagement über 'Neue Armut– diskutiert. Durch die deutschlandpolitische Entwicklung ist Bremen inzwischen in eine Randlage gerückt. Das ist nicht sehr motivierend“, umschreibt Ex-Kattenturmer Fischer erwartete Konsequenzen aus der Studie. asp
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