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Millionen Kronen für das Recht, Obst zu verkaufen

Startschuß zur Privatisierung in der CSFR: In Prag sind die ersten kleinen Geschäfte versteigert worden — zu viel zu hohen Preisen, meinen Fachleute  ■ Aus Prag Sabine Herre

Es ist ein Laden wie jeder andere. Gelegen im Erdgeschoß eines renovierungsbedürftigen Mietshauses am Rande des Prager Stadtzentrums, bietet er seinen Kunden das stets von neuem überwältigende Angebot der realsozialistischen Konsumwelt. Verstaubte Gläser mit eingemachten Kirschen, verbeulte Büchsen mit Perlzwiebeln und Sauerkraut. Ihr Herstellungsdatum scheint lange zurückzuliegen.

Und dennoch: Die Obst- und Gemüsehandlung in der Prager Koněvová 160 zog am vergangenen Wochenende die Aufmerksamkeit der gesamten Tschechoslowakei auf sich. Sie war das erste Objekt der sogenannten „kleinen Privatisierung“; mit ihr begann einer der wichtigen Abschnitte der Wirtschaftsreform des Landes. In den nächsten Monaten sollen über 100.000 Restaurants, Hotels und Einzelhandelsgeschäfte versteigert werden.

Magistrat der Hauptstadt Prag, Samstag vormittag, kurz vor neun Uhr. Obwohl der Beginn der Auktion erst auf 10.30 Uhr festgesetzt wurde, drängen sich bereits jetzt die Besucher vor den Eingangstoren des Prager Rathauses. Doch ihre Versuche, bis in den Sitzungssaal vorzudringen, sind erfolglos. Eine Unzahl von Kontrollierern verwehrt ihnen den Zutritt. Die für die „Öffentlichkeit“ vorgesehenen Plätze sind bereits ausverkauft. Wer nur aus Neugier hereinschauen will, wird angewiesen, „morgen wiederzukommen“. In das mächtige Jugendstilgebäude erhalten somit nur noch zwei Gruppen Einlaß. Da ist zunächst der rund einhundert Mann und Frau starke Pulk der in- und ausländischen Journalisten. Mit Fernsehkameras und Mikrophonen werden sie in den nächsten Stunden die „glücklichen Käufer“ bedrängen, mehrmals droht ihnen dabei ein Saalverweis. „Schließlich“, so die Veranstalter, „ist eine Auktion eine ernste Angelegenheit und kein Eishockeyspiel.“

Kleiner als die Gruppe der Journalisten ist die der Kauflustigen. Begleitet von ihren Familien und Angestellten haben rund 70 „zukünftige Mittelstandsunternehmer“ durch die Zahlung von mindestens eintausend Kronen (ungefähr 50 DM) ein Recht zur Ersteigerung der angebotenen sechs Objekte erworben. Die oft geäußerte Befürchtung, daß die von den ersten Auktionen ausgeschlossenen Ausländer sich über tschechische „Strohmänner“ doch an diesen beteiligen könnten, scheint sich beim Blick auf den Parkplatz zu bestätigen: Im absoluten Halteverbot stehen ein roter Porsche und ein weißer Mercedes mit Passauer Kennzeichen. Schwerer nachzuprüfen ist eine zweite Befürchtung. Wer weiß schon, wieviele der anwesenden Makler und Rechtsanwälte die Prager „Mafia“ vertreten. Reich geworden durch vielfältige Betrügereien in vierzig Jahren Mangelwirtschaft, verfügen Fleisch- und Gemüsehändler, Taxifahrerinnen und Kellner nun über die nötigen Millionen zur Ersteigerung ihrer bisherigen Arbeitsstelle. „Ein ehrlicher Mensch kann sich dagegen nicht einmal einen Zeitungskiosk kaufen. Die Banken geben keinen Kredit. Oder du kannst den Zins nicht zahlen, der liegt bei 19 Prozent“, klagt ein Besucher. Im Laufe der Versteigurung wird deutlich, daß eine dritte Gruppe von InteressentInnen zahlreiche Objekte erwerben kann. Die erwähnte Obsthandlung geht an ein jordanisch-tschechisches Ehepaar (Preis: 580.000 Kronen); für ein Pelzgeschäft im Stadtzentrum (3,56 Millionen Kronen) erhält ein in Österreich lebender Emigrant mit tschechischer Staatsbürgerschaft den Zuschlag. Erfolgreich ist aber auch eine Tschechin ohne ausländische Kapitalhilfe. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen ersteigerte die Verkaufsstellenleiterin Anna Wertheim ihre Lebensmittelhandlung für 1,65 Millionen Kronen.

Leiter dieser ersten Prager Versteigerung ist der neunundzwanzigjährige Ivan Gavlas, Mitarbeiter des Ökonomischen Instituts der Akademie der Wissenschaften und Inhaber einer Auktionsagentur. Mit gleichbleibender Stimme und schnellen, kaum wahrnehmbaren Bewegungen des „Auktionshammers“ kündigt er die Erhöhung der Gebote an. „240.000, 240.500, 241.000, wir steigern jetzt in Tausenderschritten: 242.000, 243.000...“ Am Ende des Wochenendes ist Gavlas vor allem von den erzielten Preisen „fasziniert“. Noch in der letzten Woche hatte er damit gerechnet, daß die von den Privatisierungskommissionen festgesetzten Preisminima nicht erreicht werden könnten, nun wurden sie um das Zwanzig- bis Siebzigfache überschritten.

Auch Privatisierungsminister Tomáš Ježek zeigt sich begeistert: Die hohe Beteiligung ausländischen Kapitals hält er für unbedeutend, wichtig sei vielmehr, daß der CSFR der erste Schritt auf dem langen Weg der Privatisierung gelungen ist.

Ganz anders bewertet ein beteiligter Makler das Wochenende. Er hatte für die angebotenen Objekte stets bis zu 80.000 Kronen geboten. „Höhere Preise stehen in keinem Verhältnis zu dem übernommenen Risiko. Schließlich ist eine Ersteigerung nicht gleichbedeutend mit dem Erwerb des Besitzes. Grund und Boden, aber auch die Geschäftsräume gehören weiterhin der öffentlichen Hand, dafür muß der Unternehmer Miete zahlen. Die Millionen werden hier nur für das Recht, eine Obsthandlung zu betreiben, ausgegeben. Wenn sich der ehemalige Besitzer meldet, kann mir bereits nach zwei Jahren gekündigt werden.“

Mit dieser Meinung ist der Fachmann die Ausnahme. Viele Jungunternehmer sind bereit, ein hohes Risiko auf sich zu nehmen. Mit einer Veränderung der Angebotsstruktur hoffen sie, bereits in diesem Jahr die Kredite zurückzahlen zu können. Und so soll auch der Gemüseladen in der Koněvová 160 den neuen Besitzern schon bald Gewinn bringen. Anstelle von Pflaumenkompott werden bald Avokados, Papayas und Mangos verkauft werden.

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