: Teilrückzug sowjetischer Truppen
■ Ledernacken und Truppen des Innenministeriums verlassen die baltischen Staaten
Moskau (afp/taz) — Der sowjetische Innenminister Boris Pugo hat den Rückzug sowjetischer Einheiten aus den baltischen Staaten angekündigt. In einem Interview in der Mittwochsausgabe der Tageszeitung 'Rabotschaja Tribuna‘ („Arbeitertribüne“) sagte der Innenminister, seit Montag seien alle Fallschirmspringereinheiten, die im Januar zusätzlich in den baltischen Republiken stationiert worden waren, wieder abgezogen worden. Es blieben nur die Armee-Einheiten, die dort ständig als Bestandteile des entsprechenden Militärbezirks der Sowjetunion stationiert seien. Am Dienstag hätten außerdem bereits zwei Drittel der Sondertruppen des sowjetischen Innenministeriums die Region verlassen. Der Minister sagte, die restlichen Sondereinheiten würden abziehen, wenn sich die Situation im Baltikum, die sich bereits zu beruhigen beginne, endgültig stabilisiert habe. Die Stellungnahme Pugos scheint mit den Zusagen der sowjetischen Führung übereinzustimmen, die beim sowjetisch-amerikanischen Außenministertreffen in Washington abgegeben worden waren. Pugo erwähnte in dem Interview nicht ausdrücklich die Eliteeinheiten des sowjetischen Innenministeriums, die „Schwarzen Barette“. Einheiten dieser Truppe hatten am 20. Januar dieses Jahres das Rigaer Innenministerium gestürmt und dabei vier Menschen erschossen.
Der Teilrückzug sowjetischer Truppen ist von Augenzeugen in Wilna bestätigt worden. Insgesamt seien 45 Panzerspähwagen, Lastwagen mit Soldaten und andere Militärfahrzeuge aus dem Kasernenkomplex der „Wilnaer Nordstadt“ abgezogen und hätten sich Richtung Weißrußland abgesetzt.
Litauens Präsident Landsbergis sieht ein gutes Zeichen. Es könne zum Schlüssel für die Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Litauen und der UdSSR werden. Allerdings sei Skepsis vonnöten: „Man sollte nicht den ersten Symptomen Glauben schenken, da die Sowjets, wie ihre jüngsten Taten beweisen, oft ihr Wort brechen. Wenn Präsident Bush einige Zeit in Litauen gewesen wäre und die sowjetische Propaganda mit der Wirklichkeit verglichen hätte, hätte er nicht gesagt, der Kalte Krieg sei vorüber und die Völker Osteuropas frei.“
Während die Situation in Litauen sich etwas entspannt, droht in Georgien ein neuer Konflikt zwischen der Sowjetarmee und dem georgischen Parlament, das in überwältigender Mehrheit für die Loslösung von der Sowjetunion eintritt. Das Parlament hat die Aufstellung einer eigenen Armee beschlossen und die Truppen des sowjetischen Innenministeriums seiner Kontrolle unterstellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen