: Verweigerer-Boom in Bremen
■ Täglich 100 Gespräche in der „Zentralstelle für Recht und Schutz der KDVler“
Bremen (taz) — Bundesweit nimmt die Zahl der Kriegsdienstverweigerer besonders unter den Reservisten stark zu. Zwar kann — oder will — das Verteidigungsministerium noch keine konkreten Zahlen nennen. Aber rund hundert Beratungsgespräche führt allein die Bremer „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer“ jeden Tag. Fast alle Anrufer waren oder sind noch bei der Bundeswehr. Mehrmals am Tag schaltet sich zudem die Störungsstelle der Post ein, da die völlig überlastete Telefonleitung der Zentralstelle zu Kurzschlüssen führt.
Der große Berg von Anträgen staut sich vor den Anerkennungsausschüssen für Kriegsdienstverweigerer — und das, obwohl sie bereits seit Oktober im wesentlichen ohne mündliche Anhörung nur noch nach Aktenlage entscheiden. Einen ersten Verweigerer-Boom hatte es unter den Reservisten nämlich schon vor Zuspitzung der Golfkrise gegeben. Mit der Verkürzung der Wehrpflicht im Herbst vergangenen Jahres war auch eine Auflage entfallen, nach der Reservisten zuvor als Folge ihrer Kriegsdienstverweigerung vier Monate Zivildienst nachdienen mußten.
„Die Ausschüsse wären in der Lage, ihre Kapazitäten auch kurzfristig schnell zu vergrößern“, versichert zwar der Pressesprecher der Wehrbereichsverwaltung für Niedersachsen und Bremen, Sucker. Tatsächlich befürchten die Beratungsstellen für Kriegsdienstverweigerer eher einen großen Rückstau: „Wenn nicht schnell etwas passiert, wird es bald ein bis eineinhalb Jahre Wartezeit geben“, ist aus der Bremer Zentralstelle zu hören.
Damit wäre das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung in Gefahr: denn eine Verweigerung von Reservisten hat keine aufschiebende Wirkung. Das heißt, sie können bis zur Entscheidung der Anerkennungsausschüsse weiter zu Wehrübungen — und im „Spannungsfall“ sogar zum Militärdienst einberufen werden. Nach einem Grundsatzurteil des Karlsruher Verfassungsgerichtes dürfen sie dann jedoch nur zum „waffenlosen Dienst“ als Sanitäter oder Schreibkraft verpflichtet werden.
„Der Golfkrieg war nur noch der letzte Auslöser“, sagt der Bremer Reserveoffizier Bernd Mohnsame über seinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung. Er war einer von rund hundert Männern, die am vergangenen Dienstag zur Gruppe „Reservisten verweigern sich“ kamen.
„Wir fühlen uns nicht als Drückeberger. Wir können uns einfach nicht mehr vorstellen, für fremde Interessen zu töten“, sagen die ehemaligen Soldaten. Am 2. Februar findet auf dem Bremer Marktplatz eine öffentliche Verweigerung statt. Ase
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