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Im Schnellauf durch die Trümmer

■ Die Staatsbühnen mit Ulrich Wallers Nachkriegsrevue »Davon geht die Welt nicht unter« im Ballhaus Rixdorf

In einer kürzlich wiederentdeckten Vergnügungsstätte, dem Ballhaus Rixdorf, wird schon mal die Zeit nach dem Kriege geprobt. Begangen wird eine fiktive Trümmerlandschaft — die Nähe zu zeitgleichen echten Trümmerlandschaften macht der Stücktexter, Ulrich Waller, im Programmheft Marke Volkserziehung mit dem einleitenden Betroffenheitssatz selber gleich klar — und doch geht es hier um eine Trümmerlandschaft unter dem rückwärtsgewandten rosabebrillten Blick, in der die Ruine so eine schöne Kulisse abgibt, die ihr den Flair des Verruchten in der Frau Putze und Hure sein darf — es ist die Trümmerlandschaft mit dem Zarah-Leander- Cabarett-Schick. Wie der Herr Waller des weiteren ausführt, wird auch die Parallele zur DDR damit bemüht: »Daß sich die Geschichte im Osten Deutschlands mehr und mehr wie ein Kurzdurchlauf der Nachkriegsgeschichte Westdeutschlands liest, ist ein Grund mehr, sich noch mal ein Bild der Umstände und Bedingungen des eigenen Anfangs mitsamt seinen Unsäglichkeiten und Verstörungen zu machen« — der Kurzdurchlauf, der hier als Revue geprobt wird, hat die deutsche Geschichte zur Anbetung Hitlers und des Alpenglühens verzerrt.

Wäre der Anspruch nicht so stark- und gesamtdeutsch, wäre in dieser Inszenierung unter der Regie von Elke Lang ein gar nicht so miserabler Schwank auf die deutsche Misere und das GI-Nachkriegsvergnügungsbedürfnis zu sehen. Das Ballhaus ist schön rauchig und duster, hat Atmosphäre, lädt an seinen mit kleinen Stehlampen bestückten Tischchen durchaus zum längeren Sitzen ein. Es liefert als solches den Vorwurf, der den Texter zu seinem Stück inspirierte: Als die Amis 1946 das vom Krieg einigermaßen verschont gebliebene Gebäude entdeckten, machten sie einen Nachtclub für ihre Soldaten daraus. Herr Waller rekonstruiert nun die Proben zur Revue für diesen Nachtclub, wegen der Einblicke in die Geschichte, wie schon oben erwähnt.

Der amerikanische Zeremonienmeister, Douglas Hudgins, mit echtem Akzent, ist ein echter Einpeitscher und weiß, was er vorhat — er will die musikunterlegte Altnazinummer-Revue. Mit dem Menschenmaterial allerdings, das sich zur Performierung der Rollenklischees anbietet, ist es schlechter als mit dem Gebäude bestellt: Es gibt zu viele Löcher in diesen Köpfen, die Gemüter sind nachhaltig zerbombt. Beim Vorsprechen darf er alles Mögliche hören, bloß nicht, was so ein US-Generalmajorsherzchen sich wünscht.

Von Hebbels Maria Magdalena bis zu Lehars Land des Lächelns wird ihm alles geboten. Verzweifelte Biografien tun sich hinter den Rollen auf. Er läßt die Darstellerinnen dagegen Zarah Leanders Durchhaltesong Davon geht die Welt nicht unter oder klardeutsche Nazilieder singen: die Schauspielerinnen kommen dabei am besten zu sich. Aber alle verweigern diese Rolle, wollen was anderes und nicht länger trög-deutsche Gretchens sein. Liesl oder Vroni oder Heidi können nicht die Verehrung des toten Führers spielen, sie haben ihn seinerzeit wirklich geliebt. Eine jüdische Schauspielerin, die unter anderem Namen überlebt hat, kann nicht die liebende Frau eines Alt-Nazis spielen, während ihm seine Militärstiefel und sein Schäferhund nach wie vor das Heiligste sind. Eine dritte will nicht eine einsame Trümmerfrau spielen, die die Abwesenheit der Männer beklagt — und eine letzte nicht die Sterntalernummer mit dem Traumprinzen, der mit dem Schnee vom Himmel erwartet wird; sie bekommt einen hysterischen Schreikrampf, auch weil sie vom General früher zu einem flotten Rock'n'Roll nach Glenn Miller entführt worden ist. Der Regieassistent (Thomas Schendel), der kein Nazi war, wehrt sich gegen den Kommandoton, mit dem hier geprobt wird, der rundet das Ganze in einem beinschwingenden Tänzchen ab.

Hätte man es weniger globaldeutsch gehalten und dafür auf die einzelnen Szenen gesetzt, sich mehr Ruhe in der Betrachtung der einzelnen Rollen gelassen und das grausam Schematische der angebotenen Frauenbilder stärker akzentuiert, die Revue nicht in diesem realen Aus-dem- Boden-stampf-Tempo durchgezogen, von dem mehr der Aktionismus des Generals als die Darbietung bleibt — man wäre gerne länger im Ballhaus gesessen und hätte gerne ein wirkliches Geschichtsfiasko gesehn. Michaela Ott

»Davon geht die Welt nicht unter« im Ballhaus Rixdorf. Inszenierung: Elke Lang. Bühne: Elke Lang, Martin Kraemer. Kostüme: Urte Eicker. Musik: Ernst und Hans-Peter Stroer. Darsteller: Heike Balzer, Suzanne von Borsody, Jürgen Elbers u.a.

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