: Heute über Kerosin und bärtige Männer
■ die taz fliegt darüber
Männer lassen sich im Urlaub Bärte wachsen: kein Klischee, sondern Folge des Golfkrieges. Da im Elektrorasierer Sprengstoff der Sorte Plaste + Elaste versteckt sein könnte, bleibt der Apparat bei Flugreisen zu Hause. Es gibt allerdings immer noch genug Schlauköpfe, die meinen, daß ausgerechnet für sie die Kontrollierenden beim mitgebrachten Rasierer/Radio/Video schon noch ein Auge zudrücken werden. Daher haben die Lagerräume auf den Flughäfen wegen der nicht zugedrückten Augen mittlerweile eine Ähnlichkeit mit den Räumlichkeiten des Elektrogroßhandels.
Realsatire, nein, Realzynismus: Während anderswo gestorben wird, ist hier die Hauptsorge, daß das Kofferradio keinen Schaden nimmt im Lagerraum. Fragt sich, warum mann nicht auf die eh gründlichere Naßrasur umsteigt und wieso ausgerechnet ein Ghettoblaster mit an den Strand muß.
Wenn mann überhaupt noch zum Strand fliegt. Fliegen hat wieder den Geruch von Abenteuer, die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten trotzen der Gefahr und Abu Nidal. Ob das alles Hysterie ist oder nicht: die Reiseveranstalter klagen ebenso wie die Fluggesellschaften über rapiden Kommerzrückgang seit dem 15. Januar. Verständlich, wer möchte schon beim Fliegen mit einem Knall in die Luft gehen? Die Angst vorm Fliegen jedenfalls ist so groß, daß die Leute ihre Flugreisen stornieren, auch wenn's bloß nach Gran Canaria geht; die Stornogebühren müssen natürlich voll bezahlt werden. Die Geschäftsreisenden, die von ihrem Linienflug Abstand nehmen, kriegen wenigstens die Kohle zurück. Diese Profi-Vielflieger nehmen allerdings nicht wegen der Sprengstoffgefahr derzeit lieber die Eisenbahn oder das Auto, sondern weil durch die verschärfte Sicherheit und die überflüssigerweise mitgebrachten Elektrogeräte das Einchecken so lange dauert, daß die eh schon wegen Überlastung des Luftraumes vorhandene Verspätung zu groß und der Gang der Geschäfte empfindlich behindert wird. Wenn das Ziel eventueller Terroranschläge die Störung des Luftfahrtgeschäftes ist, dann sind jedenfalls in deutschen Landen Bomben(drohungen) nicht mehr nötig.
Die privaten Kriegsvermeidungsstrategien der BundesbürgerInnen nehmen dabei auch skurrile Formen an. Im TV erzählt ein älterer Herr, daß er seinen Flug von Stuttgart aus gebucht habe; der Frankfurter Flughafen sei ihm zu unsicher, weil zu groß und unübersichtlich. Dies Vertrauen darauf, daß im Ländle alles viel ordentlicher und übersehbarer sei, sollte eigentlich nach den Späthschen Wirtschaftsreisen ein wenig geknickt sein. Und ohne potentiellen Bombenlegern eine Zielangabe machen zu wollen: das Abholen von Reiseschecks in irgendeiner deutschen Bank kann mit demselben Risiko verbunden sein wie das Losdüsen in Richtung Sonne. Sicher? Kein Ort, nirgends.
Die Reiseveranstalter sollten ihrerseits das Klagen über das schlechte Geschäft nicht so laut betreiben, hat ihnen das Bundeskartellamt doch eine zahlbare Rüge wegen unlauterer Preisabsprache verpaßt. Der Bundeskartellamtsabteilungsleiter Klaue mokierte sich über die stümperhafte Art, in der das ökonomische Vergehen betrieben worden ist. Recht hat er, wenn schon Absprache, dann nicht öffentlich in den Verbandspublikationen, sondern so, wie es die Mineralölfirmen machen: heimlich, still und trotzdem spürbar. Der Ölpreis mußte als Begründung der Kerosinabgabe herhalten, wobei klar ist, daß es derzeit keine Ölknappheit gibt, daher auch keine neoliberale Begründung für hohe Ölpreise. Die übrigens auch gar nicht so hoch sind: was sind 23 Dollar heute gegen 41 Dollar noch vor ein paar Monaten? Zugleich spekulieren Ölhändler und Weltwirtschaftler nicht unbegründet mit weiterhin niedrigeren Ölpreisen, da die Disziplinierung der Förderländer durch die Opec zukünftig wohl wegfalle. Gute Aussichten für die Ökonomie, schlechte für das Klima.
Der Düsensprit ist allerdings tatsächlich knapp, aber nicht wegen des Wegfalls irakischen und kuwaitischen Öls, sondern weil die Panzer und Flugzeuge der Verteidiger der westlichen Wertegemeinschaft (so heißt das jetzt) das Kerosin verbraten. Daher die Preissteigerung, Abu Dhabi mußte wegen der großen militärischen Nachfrage seine Lieferunfähigkeit für zivile Kundschaft erklären. Folglich wird das Fliegen teurer, und die Flugreisenden sollen einen Zuschlag zahlen. Die vom Kartellamt verhängte Strafe von insgesamt 6,29 Millionen DM, davon je 1 Million für TUI und Neckermann, können die neun betroffenen Reiseunternehmen schon fast aus der sprichwörtlichen Portokasse zahlen. Trotzdem wollen sich die Gestraften dagegen wehren. Es geht eben nicht ums Öl, sondern ums Prinzip. Genau wie im Nahen Osten. Cletus Ossing
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen