: Lange Schatten über Hongkong
Peking behindert die Berichterstattung in den Medien von Hongkong und wird dabei von der Kolonialregierung begünstigt ■ Von C.L.Cheung
Die Zerschlagung der Demokratiebewegung 1989 durch die chinesische Regierung wirft schon jetzt einen Schatten auf die Arbeit der Nachrichtenmedien in Hongkong — das sich ab 1997 ganz in den Händen Chinas wiederfinden wird. Viele Journalisten, die monatelang über die Ereignisse bis zum Massaker am 4.Juni berichtetet hatten, sind traumatisiert durch die blutige Niederschlagung. Nicht wenige müssen befürchten, daß ihre Artikel eines Tages von der chinesischen Regierung gegen sie benutzt werden — falls diese nämlich beschließt, mit der Sympathie der Bevölkerung Hongkongs für die Dissidenten und „Konterrevolutionäre“ abzurechnen.
Von ihren Arbeitgebern sind viele Journalisten, die über die Demokratiebewegung geschrieben haben, aus der Berichterstattung über China herausgenommen worden — angeblich aus Sorge um ihre eigene persönliche Sicherheit und die ihrer Gesprächspartner in China, die womöglich durch ihren Kontakt mit den Journalisten bereits als politisch verdächtig gelten und Verfolgungen ausgesetzt sein könnten. Für die Journalisten jedoch kam dies praktisch einem Berufsverbot gleich, und enttäuscht gaben viele ihren Beruf ganz auf. Andere haben sich von der Erschütterung durch das Massaker nicht erholt und deshalb mit der Arbeit aufgehört.
Es ist kein Geheimnis, daß die Berichte der Medien Hongkongs über die Demokratiebewegung die chinesische Regierung verärgert haben. Die politische Führung ist offenbar der Ansicht, daß zumindest ein Teil der Verantwortung für die Ausdauer der Studentendemonstrationen auf dem Tiananmenplatz und die Solidaritätsbewegung in der Kolonie auf das Konto der Medien geht.
Im Oktober 1989 erließ die chinesische Regierung Restriktionen für Hongkongs Medien bezüglich der Berichterstattung aus der Volksrepublik; Recherchen müssen jetzt 15 Tage im Voraus angemeldet werden, telefonische Nachfragen und Interviews sind verboten. Auch dürfen Bürger der Volksrepublik nicht mehr für die Medien Hongkongs schreiben.
Im Laufe des vergangenen Jahres wurde einigen Journalisten aus Hongkong die Einreise in die Volksrepubliik verweigert. Es gibt deutliche Signale an Hongkong, daß Medien, die sich nicht an Pekings Regeln halten, auf die eine oder andere Weise bestraft würden. Betroffene Journalisten und Zeitschriften wagen nicht zu protestieren, da sie damit die zukünftige Arbeit ebenfalls gefährden.
Verbote und Behinderungen waren besonders gegen die vierzehntägig erscheinende 'Pai Shing‘ und das Wochenmagazin 'The Contemporay‘ gerichtet, einer ganz und gar China gewidmeten Publikation, die im Juli 1989 von ehemaligen Mitarbeitern des Hongkonger kommunistischen Organs 'Wen Wei Po‘ gegründet wurde. Die Ereignisse um 'Wen Wei Po‘ waren der Höhepunkt der Medienrebellion gegen Peking und führten zu einer Verstärkung des Zugriffs auf die Presse. Im Sommer 1989 hatte 'Wen Wei Po‘ sich mehr und mehr einer unabhängigen Position gegenüber der Demokratiebewegung durchgerungen; ihr Herausgeber Lee Tse-chung war vierzig Jahre lang treuer Gefolgsmann der Kommunistischen Partei und außerdem Mitlied der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes. Jetzt jedoch unterstützte er die Pekinger Studenten und klagte das Pekinger Regime auf den Seiten von 'Wen Wei Po‘ des Faschismus an.
Nach dem Massaker drängte ihn Xu Jiatun, Direktor der Hongkong- Abteilung von Chinas offizieller Nachrichtenagentur 'Xinhua‘ und de facto Botschafter der Volksrepublik in der Kronkolonie, zu einer Pro-Peking-Position zurückzukehren — aber Lee lehnte ab. Als einige chinesische Journalisten in den USA ihren Plan verkündeten, eine Vereinigung der Freunde von 'Wen Wei Po‘ zu gründen, spitzte die Sache sich zu. Dieser Schritt war offenbar mit Lees Zustimmung erfolgt und wurde von den Chinesen prompt als Versuch der Zeitung gewertet, sich ganz von der Partei zu lösen.
In der Redaktion von 'Wen Wei Po‘ kam es zu einem Machtkampf zwischen Lee und seinem Stellvertreter Chen Bojin, einem früheren Vizepräsidenten von 'Xinhua‘. Lee versuchte, Chen zu entlassen — und wurde daraufhin postwendend selber entlassen. Am 15.Juli 1989 um Mitternacht betrat der jetzige Vizedirektor von 'Xinhua‘ und Chef der Propagandaabteilung, Zhang Jun sheng, das Büro der Zeitung und erklärte den versammelten Mitarbeitern, daß Lee entlassen sei, da er versucht habe, Chen zu feuern. Zhang, der selbst nichts mit 'Wen Wei Po‘ zu tun hat, sagte, daß die Zeitung mit chinesischen Geldern arbeite und sich deshalb die Kontrolle durch 'Xinhua‘ gefallen lassen müsse. Bis zu diesem Streit hatten die chinesischen Behörden hartnäckig behauptet, daß 'Wen Wei Po‘, wie alle anderen kommunistischen Zeitungen der Kolonie, „in Privatbesitz“ sei.
Mehr als dreißig Journalisten kündigten aus Solidarität mit Lee.
Kolonialregierung und KP Hand in Hand gegen die Medien
Hongkongs koloniale Regierung begünstigt Chinas Versuche, die Medien einzuschüchtern. Im September 1989 protestierten Demonstranten vor einem Restaurant, in dem ein Empfang zu Ehren des chinesischen Nationalfeiertags gegeben wurde, gegen das Massaker vom Tiananmenplatz. Es kam zu einem Handgemenge mit der Polizei, in dessen Verlauf Mitglieder der Aktionsgruppe „5.April“ verhaftet wurden. Wenige Tage später stürmten Polizisten die Nachrichtenbüros zweier privater Fernsehsender — TVB und ATV — und forderten die Herausgabe von Aufnahmen dieser Demonstration.
Zwei Monate nach der Beschlagnahme der Aufnahmen kam es zu einem weiteren Zensurfall, diesmal ging es um Filme. Die Regierung berief sich auf ein Gesetz von 1987, um eine Dokumentation zu zensieren, und es wurde bekannt, daß seit mehreren Jahrzehnten bereits Filme „legal“ zensiert worden sind.
Gegen starke Opposition hatte die Kolonialregierung den Filmzensurerlaß eingeführt, der die Länder dazu ermächtigt, Filme zu zensieren, die geeignet sind „die guten Beziehungen zu anderen Ländern“ — gemeint ist natürlich die VR China — „zu belasten“. Der schwache Gesetzgebende Rat hatte ohne zu mucken den Regierungsentwurf verabschiedet.
Im Dezember 1989 nun konnte Hongkong mit Berufung auf diesen Erlaß 16 Minuten aus der Dokumentation Sie schreiben Geschichte von dem aus Taiwan stammenden Fotografen und Filmemacher Chang Chao-tang herausschneiden. In diesen 16 Minuten ging es um die Studentenbewegung in Peking und ihre Niederschlagung am 4.Juni 1989.
Ein Regierungsbeamter erklärte später, Filmzensur sei ein geringer Preis, den man für die friedliche Beziehung zu dem riesigen Nachbarn zu zahlen bereit sei. Er meinte, Hongkong habe ohnehin ständig zu bedenken, was China verärgern könnte, und müsse sich entsprechend verhalten. „Allerdings geht es dabei um das Schießen auf bewegliche Ziele. Was China heute verärgert, kann zukünftig genau das Richtige sein. Wir müssen den sich verändernden Sensibilitäten der chinesischen Regierung jedoch in jedem Fall Rechnung tragen.“
Dies führt natürlich zur Selbstzensur, und viele Journalisten haben sich über den Druck beklagt, dem sie von seiten ihrer Redakteure und Zeitungsbesitzer ausgesetzt werden, auch ja immer alles den politischen „Realitäten“ anzupassen. Andere behaupten, ihr „vorsichtiger“ Zugang ergebe sich aus der schlichten Tatsache, daß sie nicht die Mittel zur Emigration hätten.
Trotz dieses düsteren Bildes muß der britischen Administration auch zugute gehalten werden, daß sie die Pressefreiheit in der Kronkolonie gefördert hat. Hongkong hat von allen Ländern Asiens die freieste Presse. Dies allerdings hat mehr mit der Zurückhaltung der Regierung zu tun als mit gesetzlichen Grundlagen: Keiner weiß genau, wie viele Gesetze zur Zeit schon existieren, die im Notfall zur Einschränkung der Pressefreiheit dienen können.
An der Spitze dieser Liste stünde in jedem Fall der Fernseherlaß; er ermächtigt die Regierung zur Vorzensur aller Fernsehsendungen einschließlich der Nachrichten und politischen Magazinsendungen, im extremsten Fall sogar zur Schließung des Senders.
Drakonische Maßnahmen sieht auch der Erlaß über öffentliche Unterhaltung vor, der Konzerte, Theateraufführungen, Lesungen, Ausstellungen und Liveshows betrifft. Dieses Gesetz bestimmt, daß jede öffentlich zugängliche Unterhaltung dieser Art eine ausdrückliche Erlaubnis von der Lizenzbehörde für Fernsehen und Unterhaltung braucht — die jedoch hat keinerlei Richtlinien zur Verfügung. Der hieraus entstandene Streit über den öffentlichen Gebrauch von Megaphonen in Frühjahr und Sommer 1990 konsternierte die internationale Öffentlichkeit und war der Regierung Hongkongs am Ende nur noch peinlich. Politische Aktivisten der Aktionsgruppe „5.April“ und der Vereinigten Demokraten Hongkongs waren wegen der Benutzung von Megaphonen vor Gericht gestellt worden.
Fünf Mitglieder der Vereinigten Demokraten wurden für schuldig befunden und weigerten sich, die eher nominale Geldstrafe von 150 Hongkong-Dollar zu bezahlen. Irgendwann beglich dann eine geheimnisvolle Person aus dem Hintergrund die Schuld. Dieser Prozeß erregte bei der internationalen Presse einige Aufmerksamkeit.
In der Zeit des verstärkten Zugriffs sowohl Pekings als auch der Kolonialregierung auf die Medien berichteten verschiedene China-Magazine über ein politisches Treffen, das beide Kolonien, Hongkong und Macao, zum Inhalt hatte. Den Berichten zufolge hatten chinesische Funktionäre 'Xinhua‘ angewiesen, besonders aktive Journalisten stärker zu überwachen und Hintergrundinformationen über sie zu sammeln. Auch wird berichtet, daß Peking die Hongkonger Medien nunmehr in vier Kategorien aufteilt. Früher gab es nur drei Sparten: Pro-Peking, Pro- Taiwan und die dazwischen. Die neuen Kategorien lauten wie folgt:
1.Medien, die unter totaler Kontrolle der Partei stehen, und zwar via Propagandaabteilung von 'Xinhua‘;
2.Medien, die oberflächlich politisch neutral sind, jedoch von der Partei benutzt und manipuliert werden können; sie sind hauptsächlich Zielscheibe dieser neuen Strategie und lassen sich unterteilen in die sich aktiv Peking nähernden Medien und Medien, denen noch etwas nachgeholfen werden muß;
3.Medien, die oberflächlich gesehen einen Mittelweg einschlagen, jedoch tatsächlich Pro-Taiwan sind; selbst solche Medien können bei entsprechender Gelegenheit noch benutzt werden, allerdings muß dafür die Taktik der Einheitsfront herhalten; und
4.Medien, die isoliert und angegriffen werden müssen.
Der Zeitschrift 'The Contemporary‘ war es sogar gelungen, für jede der genannten Kategorien Publikationsbeispiele ausfindig zu machen, allerdings veröffentlichte sie die Liste nicht, da die politischen Implikationen als zu heikel galten. Eine Kontaktperson aus der Redaktion ließ jedoch verlauten, daß eine der Tageszeitungen, die gemeinhin als Pro-Peking gilt, tatsächlich in der dritten Kategorie aufgeführt war.
In weniger als sieben Jahren wird Peking Hongkong übernehmen, und die Journalisten der Kolonie sind verständlicherweise schon jetzt höchst alarmiert über die Manipulationen und taktischen Manöver der Kommunistischen Partei Chinas. Viele sehen in ihnen den massiven Versuch, die gemeinsame britisch- chinesische Erklärung und das neue Grundgesetz zu unterhöhlen, in denen die Pressefreiheit auch nach 1997 garantiert worden sind. Während in weiten Teilen der Medien murrend akzeptiert wird, daß Eingriffe der Partei unvermeidlich sind und jeder Widerstand dagegen zwecklos, haben einige Journalisten beschlossen, jeden Zentimeter ihres Spielraumes gegen die Parteilinie zu verteidigen.
C. L. Cheung ist freier Journalist und hält sich häufig in Hongkong auf. Der vorliegende Artikel ist eine stark gekürzte Fassung des in 'Index of Censorship‘ 1/91 gedruckten Textes.
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