Neuer irakischer Panzerangriff

■ Spekulationen um irakischen Aufmarsch an der saudischen Grenze/ Friedenskämper nach Jordanien abgeschoben

Berlin (taz) — Das Vorrücken starker irakischer Verbände zur Südgrenze von Kuwait beherrschte gestern die Nachrichten über den Golfkrieg. Nach Schätzungen der alliierten Aufklärung soll es sich um eine 17 Kilometer lange Kolonne mit etwa tausend gepanzerten Fahrzeugen handeln. Aus Chafdschi meldet ein Korrespondentenbericht, daß es sich um eine 16 Kilometer breite Kolonne handele. Ein amerikanischer Kommandeur beschreibt den Vormarsch als eine Bewegung in „Marschsäulen, kleinen Gruppen und Konvois“. Das Ausmaß des irakischen Truppenaufmarsches wird von amerikanischen Fernsehgesellschaften mit 50.000 bis 60.000 Mann angegeben. Der Chef des französischen Armeepressedienstes, General Germanos, erklärte hingegen in Paris, daß es nach wie vor Zeifel an der Zuverlässigkeit solcher Berichte und Zählungen gebe. Übereinstimmend wird berichtet, daß der Vormarsch unter einem massiven Bombardement von B-52-Bombern liege. Hinzu kommen Meldungen von Gefechten an der gesamten 240 Kilometer langen Grenze zwischen Saudi-Arabien und Kuwait, wobei beide Seiten Artillerie und Raketen einsetzten.

Noch vager als die Berichte sind die Deutungen des Geschehens. Das Pentagon hat bislang diesen Aufmarsch noch nicht bestätigt. General Kelly sprach davon, daß es den Irakis „leid tun wird, die sicheren Stellungen und den Schutz ihrer Luftabwehr zu verlassen und in Gebiete vorzurücken, in denen wir unsere Luftwaffe optimal einsetzen können“. Ein anderer amerikanischer Militär spricht von einer „goldenen Gelegenheit“. General Germanos widerspricht der Hypothese einer großen Offensive. Er vermutet, daß es sich um Verstärkung der Truppen handele, die sich nördlich von Chafdschi in Kampf befänden. Im Unterschied zum Angriff auf Chafdschji fehlt bei diesem Aufmarsch bislang eine Erklärung von Bagdad.

Erste Korrespondentenberichte aus der zurückeroberten Hafenstadt Chafdschi liegen vor. 'dpa‘ berichtet von einer schwer zerstörten Stadt mit ausgebrannten Panzerfahrzeugen und Leichen irakischer Soldaten auf den Straßen. Nach wie vor gebe es Heckenschützen. Die Angaben des saudi-arabischen Generals Khalid bin Sultan bezüglich der getöteten und gefangenen Irakis übersteigen die Angaben amerikanischer Sprecher— er spricht von 200 Toten oder Verwundeten und 400 Gefangenen. Der Vorstoß der irakischen Armee wird als „Selbstmordaktion“ beschrieben: „Die Irakis haben 90 Prozent ihrer Kräfte verloren [...] Es ist tragisch, daß so viele von ihren Führern in den Tod getrieben “ worden sind.

In Zusammenhang mit diesen Ereignissen wird gemeldet, daß inzwischen die B-52-Bomber spanische und britische Stützpunkte benutzen dürfen. Die britischen Truppen sind gestern um 5.000 Soldaten verstärkt worden; damit erhöht sich die Zahl auf 40.000. KH

Die Angehörigen des „Friedenscorps“ — 73 Frauen und Männer aus 15 Ländern — sind Donnerstag nacht von den Irakern in Richtung Jordanien abgeschoben worden. Die meisten von ihnen hatten in einem „Friedenscamp“ an der irakisch-saudischen Grenze gelebt, um als „gewaltlose menschliche Puffer“ zu dienen. Teils bewacht, teils beschützt von irakischen Truppen, harrten sie nach Ausbruch des Krieges in Kuwait am 17. Januar noch zehn Tage aus — dann wurden sie nach Bagdad zurückgebracht. dpa