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Iran verärgert über Irak

■ Weltsicherheitsrat lehnt erneut Debatte über Waffenstillstand ab/ Französische Delegation lediglich zu bilateralen Gesprächen in Teheran

Berlin (afp/adn/taz) — Die Stunde der Diplomatie hat im Golfkrieg offenbar noch nicht geschlagen. Der Weltsicherheitsrat lehnte es am Donnerstag erneut ab, über einen Waffenstillstand zu beraten. In Teheran trafen zwar zeitgleich Delegationen aus dem Irak, Frankreich, Algerien und dem Jemen ein, aber ob es sich um bilaterale oder gemeinsame Gespräche handelte, blieb zunächst im dunkeln. Klar war nur, daß die französische Delegation nicht mit der irakischen zusammentraf.

Zeitgleich zum Eintreffen der Delegationen in Teheran behauptete der Bagdader Rundfunk am Donnerstag abend erneut, Kampfflugzeuge der multinationalen Streitkräfte am Golf hätten iranischen Luftraum verletzt. Derartige Berichte dürften Teil der Bemühungen des Iraks sein, die Islamische Republik zumindest zu einer scharfen Reaktion an die Adresse der Verbündeten unter Führung der USA zu veranlassen.

Diese Rechnung ging jedoch nicht auf. Der iranische Außenminister Ali Akbar Velayati beteuerte gegenüber dem Leiter der irakischen Delegation, Vizepremier Saadoun Hamadi, erneut die Neutralität Teherans im Golfkrieg und erklärte, Iran sei verärgert und „unglücklich“, daß die irakischen Kampfflugzeuge ohne vorherige Genehmigung in den iranischen Luftraum eingedrungen seien. Er betonte, die Flugzeuge und ihre Besatzung würden bis zum Kriegsende im Iran bleiben. Außerdem hieß es in Teheran, es habe in dieser Frage keine vorherige Absprache mit dem ehemaligen Kriegsgegner gegeben. Äußerungen, die in Washington sicher auf offene Ohren stoßen, wenn man auch dort noch über die Beweggründe dieser irakischen Aktion rätselt.

Gleichzeitig äußerte jedoch Velayati sein Bedauern über die „rücksichtslose Bombardierung von Zivilisten durch die alliierten Streitkräfte“. Im Rundfunk wurde zu einem „Tag der Solidarität für das irakische Volk“ aufgerufen und die Eröffnung eines Bankkontos für Spenden bekanntgegeben, die der irakischen Bevölkerung zugute kommen sollen.

Hamadi war am Donnerstag überraschend in Teheran eingetroffen. Er überbrachte eine Botschaft Saddam Husseins, über deren Inhalt nichts bekannt wurde. Mit Hamadi kamen auch eine französische, algerische und jemenitische Delegation nach Teheran. Ob es zwischen den verschiedenen Abordnungen zu einer gemeinsamen Begegnung kam, war gestern Nachmittag nicht bekannt. Die französische Regierung bestritt nachdrücklich, daß ihr Emissär ein Mandat habe, mit den Irakern zu reden.

Der Generalsekretär des Pariser Außenministeriums, Francois Scheer, habe lediglich die Vollmacht, mit der iranischen Regierung über finanzielle Fragen und über den Golfkonflikt zu sprechen. Dabei dürfte jedoch auch das Thema der irakischen Flugzeuge zur Sprache gekommen sein.

Nach Angaben des US-Generals Thomas Kelly, der die Luftoperationen der multinationalen Streitkräfte leitet, sind bislang 98 irakische Flugzeuge in den Iran gebracht worden. Seit Mittwoch seien jedoch keine neuen Maschinen mehr angekommen. Unterdessen gibt es auch Spekulationen darüber, ob der Irak auch einen Teil seiner kleinen Marine im iranischen Hafen Bandar Khomeini in Sicherheit bringt. In Presseberichten war von 20 Schiffen die Rede. Ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums erklärte jedoch, er wisse nur von einem Fall oder zwei Fällen, in denen ein solcher Versuch habe stattfinden können. Die irakische Marine wird auf etwa 40 Schiffe geschätzt. Einige Patrouillenboote sind mit Exocet-Raketen bestückt.

In New York lehnte der UN-Sicherheitsrat am Donnerstag erneut einen Vorstoß mehrerer arabischer Staaten ab, über einen Waffenstillstand am Golf zu diskutieren. Der UN-Botschafter der USA, Thomas Pickering, sagte, die Ratsmitglieder sähen keine Veranlassung zum handeln, solange Saddam Hussein nicht die Bereitschaft erkennen lasse, den UN-Beschlüssen Folge zu leisten und aus Kuwait abzuziehen. Die Ratsmitglieder von Kuba und Jemen, die sich seit einer Woche auf Initiative Libyens, Algeriens, Marokkos, Mauretaniens, Tunesiens und des Sudans um eine Debatte bemühen, warfen dem Rat auf einer formellen Sitzung zu einem anderen Thema Untätigkeit angesichts des verheerenden Krieges vor. Die Militäroperationen gegen den Irak gingen über die UN-Resolution hinaus.

In Wien kam gestern das Präsidium der Sozialistischen Internationale (SI) zu einer eintägigen Sondersitzung zusammen. Wie SI-Präsident Willy Brandt im Anschluß erklärte, trete die SI für eine Stärkung der Rolle der UNO und ihres Generalsekretärs ein, die seit Kriegsausbruch zu sehr an den Rand des Geschehens gedrängt worden sei. Der ebenfalls in Wien anwesende Chef der israelischen Arbeiterpartei, Schimon Peres, trat dafür ein, daß die SI die Anerkennung der PLO als alleinige Vertreterin der Palästinenser widerrufe. Die PLO habe sich mit ihrer Pro-Saddam-Politik vollends diskreditiert.

Prominente amerikanische und deutsche Wissenschaftler, darunter vier Nobelpreisträger, haben die USA und den Irak zu einem sofortigen Waffenstillstand und der Beendigung des Golfkrieges aufgefordert. B. S.

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