piwik no script img

Von Widerstand und Folkloreschau

■ „Capoeira“ im Überseemuseum: Zwischen Akrobatik und Happening

“Sprechende Körper“ hat ein Kenner des Capoeira sein Buch über diesen Widerstands-Tanz der nach Brasilien verschleppten Sklaven genannt. Wie es den Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Sprachfamilien Afrikas damals gelingen konnte, sich über die Musik zu verständigen und den Körper, anfangs gegen das Verbot der Kolonialherren, in einem scheinbar tänzerischen Spiel zur tödlichen Waffe zu entwickeln — das führte eine neuzeitliche Capoeirista-Gruppe am Freitagabend zwischen den Bambushütten des Überseemuseums vor.

Strengen Regeln unterliegt das Spiel, das heute wie Yoga, Karate und Tai-Chi in zivilisationsgeschädigten Industrienationen zur Körperertüchtigung gepflegt wird. In Rio nutzen Sozialarbeiter den Capoeira dagegen in ihrer Arbeit mit underdogs, um den Kindern der Elendsviertel ein Medium zur Ausbildung eigener Identität zu vermitteln.

Im Überseemuseum präsentierte sich eine sehr heterogene Gruppe: ein bißchen folkloristisch, ein bißchen erotisch — vom kindlichen Anfänger bis zum brasilianischen Meister des akrobatischen Kampf-Tanzes, athletische Männer wie graziöse Frauen, Deutsche wie Dunkelhäutige mit Rastafari-Frisur. Beim Zuschauen mischt sich dann auch die neugierige Suche nach dem Authentischen dieser Widerstandskultur mit Befremden: Zu aufgesetzt wirken die Körpershow der Newcomer und die anschließende Museums-Disko.

Ganz wie es das Ritual dieses ursprünglichen Initiationstanzes verlangt, schaffen zunächst Trommel, Tamburin und das traditionelle Berimbau (ein Bantu- Instrument mit einer Saite und einer Kalebasse als Resonanzkörper) die rhythmische Einstimmung. Dann bewegen sich die Capoeiristas aufeinander zu: Immer zwei in dem drei Meter runden Rondo, ausgehend von einem langsamen Rad.

Aus den langsamen, fließenden Bewegungen der beiden Gegner entwickelt sich ein Dialog vom tigerhaften Umeinander- Schleichen bis hin zur exstatischen Raserei mit wild aneinanderkrachenden Buschmessern. Während der Meister sich in den einarmigen Liegestütz wirft (aus der er Sekunden später in Rad und Salto zurückschnellt), baut ihn sein Gegenüber in die wild vor dem Körper grätschenden Beinbewegungen ein. Oberstes Ziel der Capoeira: Die Gegner dürfen sich nicht berühren, ihre Bewegungen müssen sich jedoch wie ein Puzzle ergänzen.

Paulo Siqueira und seine Truppe demonstrierten allerdings auch, wie aus dem Spiel Ernst werden kann, wenn die Bewegungen nämlich zum tatsächlichen Angriff werden: Aus dem Sprung nahm eine Capoeirista ihren Gegner mit den Beinen in eine Art Schere — er klappte widerstandslos in sich zusammen. ra

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen