: So schafft man Kunst!
■ „Benvenuto Cellini“ von Hector Berlioz in Amsterdam
Wer nur in die Oper geht, kann kaum verstehen, warum die Museen so voll hängen. Denn auf dem Musiktheater kommen die Repräsentanten der Bildenden Kunst, wenn ihnen die Ehre der Betönung angetan wird, kaum je zum Arbeiten, obwohl sich die Opernausstattungen nicht selten mit Staffeleien und Atelier-Chaos schmücken.
In Puccinis La Bohème gelingt keinem der Herren in den Mansarden von Montmartre ein Werk von Belang — der Maler Marcello macht da keine Ausnahme. In Tosca wird Cavaradossi durch seine Geliebte, den Mesner und sein Engagement als Fluchthelfer an der Vollendung des großen Altarbildes gehindert (mehr als das Anmischen einer Farbe schafft er in der Regel während seiner Auftrite im ersten Akt nicht). Auch Mathis der Maler — in Paul Hindemiths Oper — kommt, wegen des Aufruhrs der Bauern, nicht zum Eigentlichen. In Alban Bergs Lulu liegt es am durchtriebenen Liebesleben der Titelheldin, daß dem ihr angetrauten Maler bestenfalls noch ein paar Pinselstriche gelingen; bald schon scheidet er durch Selbstmord aus dem Bühnengeschehen. Warum sollte es bei Benvenuto Cellini anders sein?
Hector Berlioz widmete dem italienischen Bildhauer Cellini (1500-1571), von dem neben einem Salzfaß nur die berühmte Perseus- Statue im Gedächtnis der Nachwelt erhalten blieb, seine erste große Oper. J.W.v.Goethe hatte 1803 die Autobiographie des Renaissance- Künstlers ins Deutsche gebracht, und auch in Frankreich wurde die bemerkenswerte Vita rezipiert. Dem 34jährigen Musikkritiker und Komponisten Berlioz gelang in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine höchst charakteristische Musik, vielgestaltig und in Teilen sehr avanciert eine Partitur zu den entscheidenden Episoden in Cellinis Leben, die auf große Zusammenhänge hin angelegt ist und zugleich mit feinen Federstrichen couleur locale auszeichnet; eine Musik, die manchen Effekt der Meyerbeerschen Hugenotten noch überbot und drei Jahre vor Robert Schumanns Erster Symphonie, ein Jahrzehnt vor Wagners Tannhäuser und Lohengrin fertiggestellt war.
Ein Quartett brillanter Stimmen trägt die Reaktivierung dieser Grand Opéra in Amsterdam: David Kuebler — glaubhaft ein lebenslustiger, draufgängerischer, genialischer Künstler und dazu ein mit Tenorschmelz überzeugender Liebhaber; sein Assistent Ascanio, eine Hosenrolle, wurde zu Recht mit besonderem Beifall bedacht — die Mezzosopranistin Eirian James zog alle Register, war treue Botin der musikalischen Sendungen und tapfere Trösterin der verzweifelten Teresa (das Pferdeholen wurde ihr erspart); die Tocher des päpstlichen Schatzmeisters, anrührend von Lynne Dawson verkörpert, wechselt vom Hofbildhauer Fieramosca (einem Typ Don Ottavio — und dieser gut getroffen von Barry Mora) zu Cellini.
Das ist der Sog des Lebens und der Musik, den Peter Hirsch vorzüglich ankurbelt: stets genau dabei das Nederlands Philharmonisch Orkest unter Kontrolle haltend und für die Balance zwischen Bühne und Graben sorgend. Musikalisch ist an dieser Produktion nichts auszusetzen: im Muziektheater am Waterlooplein wird beste Oper geboten.
Die Inszenierung tat sich nach der Doppelpremiere vor 14 Tagen (mit Schönbergs Glücklicher Hand und Morton Feldmans Neither) schwerer, den Vergleich zu bestehen; vor allem die vom Team um den englischen Regisseur Tim Albery angebotene Ausstattung (im Vergleich mit den imposanten Bühnen-Bild-Installationen von Jannis Kounellis). Zunächst sah es so aus, als gelängen da mit einer Komposition in Blau und krassen gelben Akzenten, schrägen Wänden und Ebenen wieder souveräne und eindringliche Bilder zu einem Stück, das wie ein erster Vorbote des Verismus anmutet. Also: keine fotorealistischen Imitate von Gebäuden und Utensilien aus Rom in der Regierungszeit von Papst Clemens VII., keine Renaissance-Möbel und Hellebarden. In einer abstrakten Bühnenlandschaft liebäugelt Teresa mit Benvenuto und bootet ihren Verlobten Fieramosca aus; in ihr bricht der Karneval als buntes Straßentreiben aus — trotz des Golfkriegs. Verselbständigte Körperteile, Ohren, Mund, Nase und auch ein erektiler Spezialhut mischen sich ein in diese Episode voll wilder, intensiver Schönheit. Das grotesk-parodistische Öperchen in der Oper, auf mobiler Bühne dargeboten, entwickelt sich zum Höhepunkt.
Der Absturz erfolgt in der zweiten Halbzeit. Cellini ist in größte Bedrängnis geraten, da er bei der versuchten Entführung Teresas einen Kumpan des Rivalen Fieramosca erstach. Der Renaissance-Papst will ihm Gnade gewähren, wenn er innerhalb eines Tages die bestellte imposante Perseus-Statue als fertigen Guß präsentieren kann — wenn nicht, droht ihm der Strang. Die Ausstatter in Amsterdam konnten der Versuchung nicht widerstehen, ein Atelier auf die Bühne zu bringen, das mit den Werkzeugen und Materialien des Künstlers vollgestopft ist. Der Verismus holte diese Produktion doch noch ein.
Cellini muß, damit das Werk gelingt, alle von ihm zuvor geschaffenen Bronzeplastiken in den Schmelzofen werfen. Das erklärt, warum so wenig Kunstwerke von seiner Hand erhalten blieben, und schafft auf der Bühne wieder etwas mehr freie Fläche für das Happy-End. Wieder — und damit wird an die Glückliche Hand angeknüpft — ist es ein kühner Handstreich, dem große Kunst entspringt, nicht ein langwieriger (und, wie wir wissen, oft von Mühe und Anfechtungen begleiteter) Arbeitsprozeß. „So schafft man Kunst“ — große Kunst, ruft auch die Benvenuto-Cellini-Inszenierung aus. Aber wir haben sie nicht zu Gesicht bekommen. Frieder Reininghaus
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