: Pakistani: Distanz zur Regierungspolitik
Rekrutierungsbüros werben Freiwillige für Militäreinsatz auf irakischer Seite/ Sogar der für pakistanische Truppenentsendung an den Golf verantwortliche Oberbefehlshaber preist „die Widerstandskraft der Armee und des irakischen Volkes“ ■ Aus Neu-Delhi B. Imhasly
Vor einigen Tagen sah sich die Regierung der Provinz Sind gezwungen, Rekrutierungsbüros für Irak- Freiwillige zu schließen. Überall in der Provinz, wie übrigens auch im Pandschab, waren in den letzten beiden Wochen Stände errichtet worden, über ein Dutzend allein in Karatschi, bei denen sich laufend Leute jeglicher Herkunft meldeten, um an der Seite Saddam Husseins zu kämpfen. Auch der Druck der überall verbreiteten Poster, die einen von Kampfflugzeugen im Sturzflug umrahmten, betenden Saddam Hussein darstellen, wurde inzwischen verboten.
Nach Angaben eines der Organisatoren, der islamischen Jamat- i-Tulba, ist der Andrang in der North-West-Frontier-Province an der Grenze zu Afghanistan besonders groß. Die Söldneranwerbung, die neben afghanischen Mudschaheddin beispielsweise auch Schülerinnen aus dem Mittelstand erfaßt, gehe ungehindert weiter. Über hunderttausend Interessenten sollen sich bereits gemeldet haben. Die iranische Regierung sei um eine Transitbewilligung angefragt worden. Die pakistanische Regierung wird jedoch kaum ihre Zustimmung zu einem solchen Freiwilligenzug erteilen.
Die Begeisterung für Saddam Hussein und Aktionen wie die Eröffnung von Rekrutierungsbüros waren vor einigen Monaten noch Anlaß zu belustigten Kommentaren. Es schien unmöglich, daß Saddam Hussein mehr als die Sympathien einiger Randgruppen erhalten würde, hatte er doch einen arabischen Bruderstaat einfach verschlungen, aus seinem Land einen sozialistisch angehauchten, säkularen Staat gemacht und vor allem in der Kaschmir-Frage Indien unterstützt. Saudi-Arabien dagegen pflegte enge Beziehungen zu Pakistan. Millionen von Familien sind auf Überweisungen von Familienmitgliedern angewiesen, die in Saudi-Arabien arbeiten, im Land gibt es Hunderte von Moscheen und islamische Schulen, die vom saudischen Königreich finanziert wurden, und Hunderttausende von Pakistanis pilgern jährlich nach Mekka.
Dennoch erntet Saddams höhnische Titulierung des saudischen Königshauses als „Verräter der heiligen Stätten“ heute lauten Applaus, und Premier Sharifs Rechtfertigung der Entsendung von Truppen — der Schutz von Mekka und Medina — bringt den Ruf nach ihrem Abzug nicht zum Schweigen.
Ein Grund für die Sympathiewelle, die hier für Saddam Hussein entstanden ist, liegt in der hiesigen Wahrnehmung des Konflikts: Eine einzelne Person scheint einer gesichtslosen Armada von Kampfbombern, Kriegsschiffen und Panzern gegenüberzustehen. Die Bereitschaft, bis zum Tod zu kämpfen, bedeutet für viele, daß Saddam Hussein von izzat — von Stolz und Ehre — erfüllt ist. Für die Muslime nicht nur des Subkontinents ist diese Ehre seit Generationen — seit dem Fall des Osmanischen Reichs — mit Füßen getreten worden.
Die Unfähigkeit des Islam, ein alternatives Gesellschaftssystem zu entwickeln, so denkt man hier, hat die islamischen Völker gezwungen, das „jüdisch-christliche System“ zu übernehmen. Dabei verloren sie nicht nur ihre politische und wirtschaftliche Autonomie, sondern auch den Stolz auf ihre Kultur. Diese Perzeption des Beherrschtseins durch nicht-islamische Regeln ist, so erklären muslimische Intellektuelle, viel stärker als das westliche Konzept der einzelstaatlichen Souveränität, das im Falle Kuwaits durch den Irak verletzt wurde. Saddam Hussein hat dieses Gefühl geschickt genutzt, indem er die Symbole dieser Herrschaft, die USA und Israel, als den eigentlichen Feind markierte. Er konnte damit das traditionelle Bild Saudi-Arabiens als Ursprungsland des Islam und Ägyptens als dessen intellektuelles Zentrum vollständig neutralisieren.
Pakistans Regierungschef unter Argumentationszwang
In Pakistan wird die Kluft zwischen der offiziellen Politik und der Stimmung im Volk immer größer. Sie läuft inzwischen auch quer durch die regierende politische Klasse. Dem Regierungschef droht zunehmend die politische Isolation. Bereits die ersten Demonstrationen waren von der Jamani-i-Islam organisiert worden, einer der Koalitionsparteien der regierenden IJI, und sie bezeichnete die Bombardierung des Irak als Angriff auf die ummah, die islamische Gemeinschaft insgesamt. Kurz darauf verurteilten fünf Minister, darunter der Innenminister, die „Gewalt und Aggression westlicher Streitkräfte gegen irakische Zivilisten“. Auch Präsident Ghulam Ishaq Khan griff die Stimmung auf und sprach davon, daß Israel von der Vernichtung der größten arabischen Armee am meisten profitieren würde.
Von da war es nur noch ein kleiner Schritt, die gesamte Kampagne als „zionistische Verschwörung“ darzustellen — wie es, nach Angaben der offiziellen pakistanischen Nachrichtenagentur, Generalstabschef M.A. Beg tat. Beg ist als Oberbefehlshaber der Armee für die Entsendung pakistanischer Truppen in die multinationalen Streitkräfte mitverantwortlich, was ihn aber nicht davon abhielt, die „Widerstandskraft der Armee und des irakischen Volkes“ zu preisen und die „extensive“ Interpretation der UNO-Resolutionen durch die USA zu kritisieren. Er gab sich auch keine Mühe, die Truppenentsendung zu verteidigen, ein Zeichen, daß die mächtige Militärführung sich von diesem politischen Entscheid zu distanzieren beginnt. Am 29. Januar war die Reihe schließlich am Senat, der in einer scharfen Resolution die Evakuierung Kuwaits an die „Beendigung des brutalen Kriegs“ knüpfte, welcher „mit ausgeklügelter Technologie die grausamsten Greuel“ verursache.
Premierminister Nawaz Sharif steht, zusammen mit seinem Außenminister Yaqub Khan, relativ isoliert da. Die einzige Unterstützung kam aus den USA, wo die Oppositionsführerin Benazir Bhutto vor den Fernsehkameras die Entsendung der 11.000 Soldaten nach Saudi-Arabien befürwortete. Ihre eigene Partei, die PPP, forderte zur gleichen Zeit zu Hause den Rücktritt des Premierministers wegen seiner verfehlten Golfpolitik. Sharif hatte vor zehn Tagen eine Reise in den Iran, die Türkei, nach Jordanien, Syrien, Ägypten und Saudi-Arabien unternommen, um mit einer diplomatischen Offensive die aufgebrachte Stimmung im Land zu beruhigen. Doch seine Chance, vom Irak gehört zu werden, war gering, und die innenpolitische Zielsetzung des pakistanischen Friedensplans wurde überdeutlich, als bekannt wurde, daß er, nach einem Waffenstillstand und der gleichzeitigen irakischen Evakuierung Kuwaits, eine Friedenskonferenz vorsah, bei der neben der Palästina- auch die Kaschmir-Frage geregelt würde.
Noch steht Sharif allerdings zum Golf-Engagement seines Landes. Selbst eine Verwicklung Israels in den Krieg würde die Regierung nicht zum Abzug ihres Kontingents bewegen, erklärte er vor Journalisten. Sharif versuchte, den Spieß umzudrehen: Der Irak sei der eigentliche Bundesgenosse Israels — die Annexion Kuwaits habe die Intervention der USA bewirkt, und aus der unvermeidlichen Niederlage Iraks könne nur Israel gestärkt hervorgehen. Ob diese Beweisführung von der Bevölkerung verstanden wird, ist allerdings fraglich.
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