: Boden-Luft-Geschosse mit Rückflugticket
El Salvadors FMLN-Guerilla gibt 17 zu Sandinisten-Zeiten aus Nicaragua geklaute Raketen an die Regierung Chamorro zurück ■ Aus Managua Ralf Leonhard
In Schaumgummi gepolstert und in schwarzes Plastik gehüllt lagen sie am Randes des Swimmingpools der mexikanischen Botschaft in Managua: acht Boden-Luft-Raketen, die am Samstag in einer feierlichen Zeremonie von Kommandanten der salvadorianischen Befreiungsfront FMLN an Vertreter der nicaraguanischen Regierung übergeben wurden. Weitere neun Geschosse wurden gleichzeitig von nicaraguanischen Funktionären an den Kriegsfronten in El Salvador abgeholt. Sie kamen am Abend in Managua an.
Insgesamt 28 Geschosse waren im Vorjahr von solidarischen Offizieren aus Beständen der sandinistischen Armee entwendet und an die Rebellen weitergegeben worden. Elf davon sind im Verlauf der jüngsten Guerillaoffensive gegen die salvadorianische Luftwaffe eingesetzt worden. Die Nicaragua-Verbindung flog auf, nachdem Guerilleros die Überreste einer SAM-14 Rakete am Abschußort zurückgelassen hatten. Die Armee übergab das Objekt der US-Botschaft, und diese ließ in Moskau ermitteln. Die Sowjets konsultierten ihre Archive und enthüllten, daß die fragliche Rakete einer Lieferung entstamme, die 1986 nach Nicaragua gegangen sei.
Konfrontiert mit dieser Information mußte die sandinistische Armee ihre Inventare durchgehen und feststellen, daß tatsächlich aus einem Depot in der 5. Militärregion 28 Raketen verschwunden seien, wahrscheinlich im vergangenen Oktober. Die Rebellen entschlossen sich daraufhin zur Rückgabe der strategisch wichtigen Waffen, nachdem die Regierung in Managua mit der Vertreibung aller Exil-Salvadorianer gedroht hatte.
Wie begossene Pudel standen die Guerillakommandanten hinter den kaum 1,60 Meter großen Geschossen. Nidia Diaz, die neben Roberto Canas für die Politisch-Diplomatische Kommission der FMLN unterzeichnete, war den Tränen nahe. Noch vor einem Jahr wäre eine so peinliche Zeremonie undenkbar gewesen.
Bis zur Wahlniederlage am 25.Februar des Vorjahres hatten die Sandinisten und die nicaraguanische Armee enge Kontakte mit den Revolutionären des Nachbarlandes gepflegt und immer wieder auch militärische Ausrüstung abgezweigt. Jetzt verurteilten führende Sandinisten den Raketenhandel in ungewöhnlich scharfer Form. Luis Carrion, ein Mitglied der Parteiführung, warf der FMLN „illoyales Verhalten“ vor, vermutlich um jeden Verdacht auszuräumen, die Armeeführung und die Parteispitze hätten davon gewußt.
Informanten, die der FMLN nahestehen, bestätigen, daß die nicaraguanischen Comandantes nichts von dem Deal wußten. Um im eigenen Land Frieden zu schaffen, hatte Daniel Ortega im Rahmen des zentralamerikanischen Friedensplanes in den vergangenen Jahren nach und nach von seinem Engagement für die FMLN abrücken müssen. Eine erste Sendung von Flugabwehrraketen, die die Sandinisten bewilligten, als die salvadorianische Luftwaffe eine Großoffensive im November 1989 mit der Bombardierung von Wohnvierteln niederzuschlagen versuchte, endete in den Händen der feindlichen Armee. Auf einem ad hoc einberufenen Krisengipfel der zentralamerikanischen Präsidenten mußte Ortega anschließend die Offensive der FMLN verurteilen, um sich selbst reinzuwaschen.
Seit dem Machtwechsel verhalten sich die Sandinisten streng verfassungstreu und haben ihre Unterstützung der salvadorianischen Revolution auf die politisch-moralische Ebene beschränkt. „Wir mußten uns daher an die Basis wenden“, erklärt ein Informant, also über alte Kontakte zu Offizieren im Mittelbau an die Waffen kommen.
FMLN „der Armee ebenbürtig“
Die strategische Bedeutung der Boden-Luft-Raketen liegt darin, daß sie der FMLN ermöglichen, die gefürchtete Luftwaffe auf Distanz zu halten. In einem Kommuniqué, das in diesen Tagen veröffentlicht wurde, erklärt die FMLN-Führung, daß ihre Truppen der Armee auf der Ebene der Infanterie und Artillerie längst ebenbürtig seien. Durch die wirksame Abwehr der Jagdbomber und Kampfhubschrauber sei es jetzt gelungen, auch die Luftüberlegenheit des Gegners zu brechen. Die jüngste Offensive habe den vorrangigen Zweck gehabt, vor einer nächsten Dialogrunde diese Luftabwehrkapazität der FMLN zu demonstrieren. Die Raketen stellten eine Art „Lebensversicherung für den Dialog und die nationale Stabilität“ dar. Ein Waffenstillstand sei erst dann möglich, wenn keine Seite militärisch im Vorteil sei. Im Verlaufe und im Vorfeld der Offensive vom Ende des vergangenen Jahres wollen die Rebellen insgesamt zwanzig Hubschrauber und Flugzeuge vernichtet haben: teils durch Abschuß, teils auf dem Boden.
Managua ist nach wie vor eine unentbehrliche Basis für die strategische Nachhut und die diplomatische Arbeit der FMLN. Diese auch von der konservativen Chamorro-Regierung geduldete Basis zu erhalten, war den Comandantes schließlich wichtiger als die Raketen. „Das Kräfteverhältnis wird durch die Rückgabe der Raketen nicht gestört“, versichert der Informant. Denn die FMLN habe noch ausreichend Luftabwehrraketen einsatzbereit. Die meisten wurden den inzwischen entwaffneten Contras abgekauft — und die können sie schwerlich zurückverlangen.
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