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Vom Touristenterminal zur Flüchtlingsstation

Rückkehr ägyptischer Flüchtlinge aus dem Irak: Eine Busstation in Kairo verändert ihren Charakter/ Die meisten haben nichts mehr/ Viele sind in einer schlimmen psychischen Verfassung/ Rückkehrer berichten von Bagdad als „Geisterstadt“  ■ Aus Kairo Karim Gawhry

„Was ich am Leib trage ist alles, was ich aus dem Irak zurückgebracht habe“, erzählt Mahmud T. fassungslos. Mit vor Kälte blauen Lippen steht er vor mir im strömenden Regen und seine Tränen sind kaum von den dicken Regentropfen zu unterscheiden, die über sein Gesicht rinnen. Mahmud T. ist einer jener ägyptischen Flüchtlinge, die es manchmal erst nach wochenlanger strapaziöser Reise geschafft haben, sich von Bagdad bis nach Kairo durchzuschlagen. Fünf Jahre hatte er in der irakischen Hauptstadt als Schuhmacher gearbeitet. Jetzt hat er nicht einmal mehr genug Geld, um seine Weiterreise in die wenige Stunden entfernte oberägyptische Kleinstadt Sohag zu finanzieren. Beschämt blickt er zu Boden, als einige andere Ankömmlinge eine Sammlung für ihn veranstalten.

Es ist eine Szene, wie sie sich an dieser Busstation in Abassiya, einem Viertel im Ostteil der ägyptischen Hauptstadt, mehrmals am Tag abspielt. Die Station hat in den letzten Monaten traurige Berühmtheit erlangt. Sie ist der vorläufige Endpunkt für Zehntausende von ägyptischen Rückkehrern, die seit Beginn der Golfkrise den Heimweg antreten mußten. 3.000 Flüchtlinge, in ihrer Mehrzahl Ägypter, sollen nach Angaben des Roten Kreuzes zur Zeit an der irakisch-jordanischen Grenze festsitzen. Weitere 4.000 Ägypter haben es nach Schätzungen der Wochenzeitung 'Al-Ahali‘ bis in eines der jordanischen Flüchtlingslager geschafft und warten dort auf die Weiterreise.

„Besonders die Leute, die seit dem Kriegsausbruch hier ankommen, sind in einer verheerenden psychischen Verfassung“, berichtet Adel, der in der Cafeteria der Busstation beschäftigt ist und das Elend seit Wochen mit ansieht. Er erinnert sich an die Zeit vor der Golfkrise. Da war die Busstation noch voller Touristen mit riesigen bunten Rucksäcken, die auf dem Weg zu ihren Bade- und Tauchurlauben an den Reisekatalog- Stränden der Sinai-Halbinsel waren. Mittlerweile hat sich Atmosphäre in der Busstation geändert. Anstelle von Traumreisen künden die Lautsprecher heute die Flüchtlingsbusse aus dem Ost-Sinai an. Das Innere der Station ist abgesperrt. Neben dem Tor wachen Soldaten und erlauben nur wenigen den Eintritt. Vor ihnen drängen sich die Verwandten der Flüchtlinge. Sie warten seit Wochen auf ihre Schwestern, Brüder, Töchter oder Söhne. „Seit Kriegsbeginn übernachten viele sogar hier“, erzählt Adel aus der Cafeteria und deutet dabei auf den schlammigen Vorplatz vor der Station. Die Stimmung der Menschen vor dem Tor ist gereizt und bei der Ankunft neuer Busse kommt es regelmäßig zu Handgreiflichkeiten. Ein pfiffiger Ägypter hat im Schnellverfahren auf der anderen Straßenseite eine Wellblechhütte zusammengezimmert, die nun den draußen Wartenden als Teehaus dient.

Dort sitzen sie und warten, trinken Tee und versuchen, die Zeit totzuschlagen. Said K. ist einer von ihnen. Er hat sich auf einem Pflasterstein niedergelassen und sieht so aus, als ob der ganze Trubel um ihn herum ihn nichts anginge. Seit zwei Wochen warte er hier auf seinen Bruder, der in Bagdad als Fahrer gearbeitet hat. Die letzte Nachricht von seinem Bruder hat er 12 Tage vor dem Krieg erhalten. Ein kurzer Anruf aus Bagdad, daß es ihm noch gut gehe und daß er versuche das Land zu verlassen. Doch seit Kriegsbeginn gibt es keinerlei Verbindung mehr nach Bagdad. Um so mehr Gerüchte gehen um. Viele der 900.000 Ägypter, die sich unmittelbar vor den ersten Bombardierungen noch im Irak aufhielten, hatten nicht geglaubt, daß tatsächlich ein Krieg ausbricht. Die Meinungen über die Ursachen des Krieges sind geteilt. Saddam hätte sich zurückziehen sollen, ist eine häufig geäußerte Ansicht. Aber über eines sind sich an dieser Busstation fast alle einig. Der Krieg muß sofort gestoppt werden. „Bagdad sieht aus wie eine Geisterstadt“, erzählt einer der Rückkehrer, während sich um ihn herum ein Kreis Neugieriger formiert, die auf irgendwelche Nachrichten hoffen. „Irak ist immerhin auch ein arabisches Land und wir haben dessen Brot gegessen“, fährt er fort. „Ich habe auf dem Weg zur jordanischen Grenze geweint, als ich all diese Zerstörungen sah“, schließt er und greift nach einer kleinen Tasche, in der sein gesamtes Hab und Gut verstaut ist. Der Kreis um ihn herum löst sich langsam auf. Sie gehen wieder in Warteposition. Auch Said K. zieht sich wieder in das Wellblechteehaus zurück. Acht Busse hat er heute gezählt. Sein Bruder war nicht dabei.

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