: „Der Urlaub findet trotz Saddam Hussein statt“
■ Durchhalteparolen in der Ferienindustrie/ Kurzarbeit in Reisebüros
Frankfurt (ap) — In der Tourismusbranche grassiert die Kurzarbeit. Zahlreiche Firmen haben bereits Kurzarbeit beantragt oder kündigten dies an. Das Frankfurter Arbeitsamt berichtete am Montag von bisher 21 Unternehmen, die als Grund den Golfkrieg angegeben hätten. Ein Sprecher vermutete, daß sich die Zahl in den nächsten Wochen drastisch erhöhen könnte. Dagegen haben Bahnreisen Konjunktur. Der Deutsche Reisebüroverband erklärte, die Nachfrage nach Geschäftsreisen beginne wieder, nachdem sie mit Beginn der Kampfhandlungen schlagartig aufgehört hatte.
Die Lufthansa Service GmbH in Neu-Isenburg mit 6.600 Beschäftigten hat Kurzarbeit ab Montag für alle Betriebe beantragt. Die gleichzeitig mit dem Antrag eingeleiteten Gegensteuerungsmaßnahmen „greifen schon“, sagte Euler. Dabei gehe es um Einstellungs- und Überstundenstopp, Abbau von Resturlaub sowie großzügige Gewährung von unbezahltem Urlaub.
Ronald Schmid von der Fluggesellschaft Aero Lloyd sagte in Oberursel, das Unternehmen mit rund 800 Mitarbeitern erwäge Kurzarbeit. Beschlossen habe sie der Vorstand aber noch nicht, da der Umfang noch nicht feststehe. Der Konjunktureinbruch trifft die Firma in einer ohnehin schwierigen Situation. Aero Lloyd sucht seit Monaten nach einem finanzkräftigen Partner, um das Engagement im Linienverkehr aufrechterhalten zu können.
Bernhard Unkelmann, Vertreter der Leistungsabteilung des Arbeitsamtes in Frankfurt, wo Unternehmen der Reisebranche konzentriert sind, schätzte die Zahl der betroffenen ArbeitnehmerInnen in seinem Bezirk auf etwa 5.000. „Aber das ist mit Sicherheit erst der Anfang.“ 21 der insgesamt rund 400 Touristikfirmen in seinem Bezirk hätten das Anzeigeformular eingereicht und als Grund den Golfkrieg angegeben.
Der Präsident des Deutschen Reisebüroverbandes in Frankfurt, Otto Schneider, sagte, bei Geschäftsreisen belebe sich der Markt wieder. Nach den ersten Terrordrohungen gegen die Alliierten im Krieg gegen den Irak war die Nachfrage „schlagartig“ zurückgegangen. Schneider führte als Ursache für den Aufwärtstrend an, die Unternehmen würden erkennen, daß es „ohne das persönliche Gespräch eben doch nicht so gut geht“. Das sei ihnen auch erleichtert worden, weil die Wartezeiten an den Flughäfen wieder geringer geworden seien.
Bei den Privatreisen seien die Winterurlaube zu Sonnenzielen bis 15. Januar mit zweistelligen Zuwachsraten gebucht worden, sagte Schneider. Danach seien nur noch wenige Kunden gekommen. Es habe aber kaum Stornierungen gegeben. Jetzt stelle sich die Frage, wann der Golfkrieg zu Ende ist. Davon hänge etwa das Ostergeschäft ab.
Die Sommerurlauber warten dagegen ab. In den Monaten Januar bis März würden traditionell die meisten Sommerreisen gebucht, sagte Schneider. Bisher sei aber etwa ein Drittel weniger als in den letzten Jahren abgeschlossen worden. Besonders Spezialveranstalter für den Nahen und Mittleren Osten hätten es jetzt schwer. Ihnen drohe das Aus. Auch Reisebüroketten erwögen bereits Kurzarbeit, sagte Schneider, ohne Namen zu nennen. Entlassungen seien vorerst nicht geplant, weil alle davon ausgingen, daß das Geschäft nach dem Krieg wieder losgehe.
Dem Saarländischen Rundfunk sagte der zuständige Gruppenleiter im Arbeitsamt Saarbrücken, in 35 saarländischen und pfälzischen Reisebüros habe der Golfkrieg zu Kurzarbeit geführt. Betroffen seien 150 bis 160 Beschäftigte. 30 bis 35 Prozent der normalen Arbeitsstunden sollten eingespart werden.
Die Touristik Union International (TUI), nach eigenen Angaben der größte Reiseveranstalter Europas, verzeichnet seit Beginn des Golfkriegs einen drastischen Rückgang der Buchungen. In den vergangenen zwei Wochen seien nur noch 57.000 Ferienflüge verkauft worden, während es im gleichen Zeitraum des Vorjahres noch 116.000 gewesen waren. Die für die Sommersaison gebuchten Reisen seien bisher um etwa ein Drittel auf 128.000 gesunken, teilte der TUI-Vorstandssprecher Michael Goebel mit. Er wandte sich gegen „allzugroße Schwarzmalerei“. Die seit Kriegsbeginn verkauften 140.000 Reisen zeigten: „Der Urlaub findet trotz Saddam statt.“
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