: Zwangsabrüstung im Nordwesten!
■ »Die TU und der Krieg« — eine Diskussion über Rüstungsforschung und friedliche Wissenschaft in der TU
Um »erste Lernprozesse« sollte es gehen, darum, zwischen die Straßenaktionen Analysen zu schieben. Als hätte sich soeben eine Generation ihrer selbst erstmals bewußt gemacht, als hätte es kein Vietnam, kein '68, keinen Häuserkampf etc. in Berlin gegeben. Dies gilt als Voraussetzung vielleicht tatsächlich für die jüngsten Studierenden, die am Dienstag bei der von der Mittelbauinitiative organisierten Podiumsdiskussion in der TU ihren Altvätern gläubig an den Regelkreis- und Preisbildungslippen hingen. Solange die Jungen sich nicht selbst als ausbeutende Wohlstandsmenschen, also letztlich als Kriegsgewinnler erkennen mußten.
Obgleich die TU nicht direkt in der Rüstung engagiert sei, so TU-Vizepräsident Wolfgang Neef, wollte man den Zusammenhang zwischen ziviler Technik und Kriegsmaschinerie und das Gewaltverhältnis Technik/Mensch/Natur ergründen. OSI-Professor Elmar Altvater beschrieb die wirtschaftliche Basis, die Wissenschaftler Karl Birkhölzer, Otto Ulrich sowie der TU-Professor Claudio Hoffmann den kulturellen Überbau.
Für Elmar Altvater konstituiert sich der Golfkrieg neben seinen politischen und militärstrategischen Bedingungen auch, wie er immer wieder betonte, als ein Ressourcenkrieg. Die Vereinigten Staaten, deren energie- und materialintensives Lebensmodell auf einem nahezu totalen Energierohstoffimport aufbaut, seien an der Stabilität der Erdölpreisbildung primär interessiert. Seit Jahren dienten die Ölstaaten als Tankstelle für die Industriemodelle der Ersten und Zweiten Welt. Im Augenblick des Scheiterns des realen Sozialismus seien auch den Ländern der sogenannten Dritten Welt Entwicklungsauswege und die Möglichkeit zu Experimenten hinter dem Schutzschild des Ost-West-Konflikts genommen. Eine Antwort auf die doppelte Krise europäischer Rationalität und ihres emanzipatorischen Gehalts sei eben der Fundamentalismus in seinen verschiedenen Ausprägungen. Damit meinte Altvater nicht nur den irakischen Fanatismus, sondern zugleich Bushs Drohung einer schaumgeborenen »neuen Weltordnung«, die auf kriegerischen Lösungen basiert. Saddams Perversion der »Geiselnahme der Natur« liege dabei durchaus in der Logik des Ressourcenkriegs, den der Norden seit Jahren dem Süden aufzwingt, indem er ganz friedlich und ohne Rücksicht auf unwiederbringliche Verluste die Natur ausbeutet.
Natürlich durfte auch nach Altvaters Ausführungen nicht der Einwand »Israel« fehlen, mit dem hierzulande gern jegliches Nachdenken über Ursachen und Wirkung des Golfkonflikts in eine vorrationale Betroffenheit des guten Deutschen umgebogen wird, dessen Denkaussetzer dann um so besser zur Rechtfertigung einer Konfliktlösung auf Steinzeitniveau mißbraucht werden kann. Ohne die Bedrohung Israels herabspielen zu wollen, sagte Altvater, fürchte er, daß sich die Situation Israels durch die Konrad Weißsche »Zwangsabrüstung« nur verschlimmern könne: »Im Krieg gibt es nur Verlierer.«
Claudio Hoffmann, der über Wissenschaftsethik und Männlichkeit vorsprach, unterfütterte Altvaters Thesen mit Francis Bacons Auffassung von Natur, deren Geheimnisse die Wissenschaft ihr entreißen müsse: »penetrate nature«. Krieg als Umsetzung der Wissenschaft mit anderen Mitteln, als brutale Steigerung der Unterdrückung und Ausrottung von Völkern, von Vergiftung und Zerstörung der Umwelt brauche eine entsprechende Ethik, die nur als Legitimation diene, deren gesellschaftlicher Charakter aber unterschlagen werde. Die Überwindung unserer Wissenschafts- und Fortschrittsgläubigkeit — die westliche Spielart des Fundamentalismus — sei Voraussetzung zum Überleben.
Otto Ulrich schließlich schlug noch härtere Töne an. Diese »kapitalistische Raubideologie, die als soziale Marktwirtschaft getarnt wird«, beruhe auf dauerhaft erdunverträglicher und nicht verallgemeinerbarer Technik — denn wolle man die Energie- und Materialverschwendung der westlichen Welt, die als fortschrittlich gilt, auf die übrige Welt verallgemeinern, brauche man fünf weitere Planeten zur Ausplünderung und als Müllhalde. Ulrich forderte eine ökonomisch-technische Abrüstung, und das hieße erstens, zweitens, drittens, viertens und fünftens Einspartechnik, von Wärmekraftkopplung bis zur Anordnung von Bäumen. Im folgenden leistete Ulrich eine gnadenlose Abrechnung mit den zivilisatorischen Errungenschaften des Alltags, die als Überlebensbeiträge nicht nur rückständig, sondern geradezu problemverstärkend wirkten: Der Automobilverkehr sei eine »Sauriertechnik«, die hochgelobten Informationstechniken basierten auf stofflichen Techniken, gäben aber selbst nichts Nützliches her. »Daten kann man nicht essen, nicht trinken, sie schützen und sie wärmen nicht.« Schließlich sollte man die Synthese den Pflanzen überlassen, die hätten nämlich ihre Umweltverträglichkeitsprüfung schon hinter sich.
Statt kriegerischer Allianz und »Besatzungstechnik« forderte Ulrich eine »Allianztechnik«, die die »freiwillige Mitarbeit der Natur« suche. Doch eine gebrauchsnahe Forschung gelte hierzulande als »Hausfrauenarbeit«. Zwischen der Zwangsalternative »SDI oder auf die Bäume« sei die Freiheit der Wissenschaft verkommen zum »verantwortungslosen Drauflosforschen«: »Sie wird vom bornierten Wissenschaftler so verteidigt wie vom ADAC die freie Fahrt für freie Bürger«.
Mit dieser schmissigen Levitenlese erntete Ulrich viel Beifall, wurde jedoch gleich anschließend gefragt, wie er seine Einsparthesen auf sich selbst anwenden wolle — »abwickeln!« rief es von den Rängen — und antwortete, er habe sich ja bisher auch nicht in die Uni einfädeln können. Die schon etwas gelockerte Atmosphäre machte sich der TU-Dozent Karl Birkhölzer schamlos zunutze, indem er die provokative Frage an das Auditorium zurückgab. Schließlich seien wir alle Nutznießer jenes gerade so vernichtend kritisierten Systems. Als Kriegsgegner müsse man bei sich selber, der eigenen Wirtschafts-, Arbeits- und Forschungssituation anfangen, was einigen (Un-)mut hervorrief: »Lieber ganz weg Chemie und Physik«, echauffierte sich ein radebrechender Heidelberger. Ein Student dachte laut über seine gutbezahlte Unersetzlichkeit bei konzerngesponserten Forschungsaufträgen nach, ein anderer Student kämpft seit Jahren dafür, in Schleifen studieren zu dürfen, und gegen seinen Vater an, eine vorlaute sturzbetroffene Frau schrie immerfort einwendend oder unterstützend: »Ja, es ist Krieg! Es ist eben Krieg!«, alles untermalt vom unvermeidlichen Diskussionskleinkind, mit dem neuerdings die Väter mittels Schultertuch symbiotisch verknüpft aufgeklärte Männlichkeit zur Schau tragen.
Das Auditorium war sich weitgehend darüber einig, daß »Leute, die hier sitzen, das (den Inhalt des Abends) privat schon gecheckt« hätten, worauf man sich über den bedingungslosen Einsatz von Plastikeinweggeschirr in der TU-Mensa verständigte und dann befriedigt nach Hause rollte. Dorothee Hackenberg
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