: Strukturreform oder -deform
■ Betr.: "Vorschläge für rrradikal neue Parteistruktur", taz vom 24.1.91
betr.: „Vorschläge für rrradikal neue Parteistruktur“,
taz vom 24.1.91
Die Meldungen über den Rauswurf der Grünen (West) aus dem Bundestag waren noch nicht verklungen, da hatten einige, die es ohnehin schon immer gewußt hatten, schon die Lösung des Problems parat: die Strukturreform. Eiligst wurden konspirative Treffen aller (wie viele gibt es eigentlich inzwischen?) Strömungen einberufen, denn schließlich geht es diesmal um die Existenz der Partei (wann nicht?) und wenn jetzt nicht, dann nie und so weiter und so fort. Es wurde gejammert, Schuld zugeschoben und Wege aus der Krise gesucht, und was kam dabei heraus: die Strukturreform. Höchste Parteigremien tagten und beklagten, und was boten sie uns über die Presse als Heilmittel für grüne Wunden an: die Strukturreform.
Einig sei man (frau auch?) sich strömungsübergreifend, daß dieser Rettungsanker, dessen genaue Form noch ausgestaltet werden müsse (mit Spitzen oder ohne, leichter oder schwerer, kürzer oder länger, dicker oder dünner), für das ziellos dahintreibende grüne Schiff nun schleunigst ausgeworfen werden müsse, bevor das Boot, in dem wir schließlich alle gemeinsam sitzen, endgültig an der nächsten Klippe zerschellen würde.
Selbst die Presse jubelte, endlich seien die Grünen erwachsen geworden und würden sich von dem kindlichen Ballast, der der Hemmschuh für die Entwicklung zu einer seriösen Partei gewesen war, befreien.
Da paßte denn auch das drohende Haushaltsdefizit ganz gut (Demokratie ist bekanntlich teuer), lieferte es doch die Quasisachzwänge für Einschränkungen beziehungsweise Streichungen lästig gewordener Einrichtungen. Schließlich will „der Wähler“ (welcher eigentlich?) Köpfe sehen, und zwar einzelne und nicht immer diese unübersichtlichen Gruppen von Menschen, die unappetitlichen grünen Haufen (igittigitt), die sich dann zu allem Übel nicht mal einig sind. Eliminieren wir also Landes- und Bundesarbeitsgemeinschaften, überlassen wir das politische Handeln einem abgespeckten Vorstand, den wir der Einfachheit halber gleich mit Abgeordneten besetzen, die bei der Presse sowieso beliebter und ohnehin die einzigen sind, die wissen, wo's langgeht. Damit wir nicht so oft wählen brauchen und „der Wähler“ sich nicht mehr umgewöhnen muß, bestimmen wir unsere Vorstände auf Lebenszeit mit einem „starken Mann“, der das richtige politische Format hat, einem Grünkohl sozusagen, an der Spitze. Parteitage und andere Basistreffen werden so auch langsam überflüssig, zumal wir unsere Programme in Zukunft nicht mehr diskutieren und abstimmen müssen, da wir ja „dem Wähler“, der uns zwar diesmal nicht gewählt hat, aber das nächste Mal ganz bestimmt wählen wird, versprochen haben, daß wir ihm nicht nur Köpfe präsentieren, sondern auch unsere Inhalte so vereinfachen werden, daß er sie versteht. [...]
Als konsequente Weiterentwicklung dieser Problemlösung würde ich die radikale Problembeseitigung (eine bewährte Therapieform in der Medizin) vorschlagen, die zudem garantiert, daß sowohl Streit als auch Kosten nahezu auf Null reduziert sind, nämlich die Amputation aller nicht mehr so ganz funktionstüchtigen Organe, bis wir schließlich zum Wesentlichen dieser Partei vorgedrungen sind, dem Hirn sozusagen, werden wir also kurz und schmerzlos zur einzig wahren und in dieser konfusen Zeit richtungweisenden Alternative: der Ein-Mann-Partei. Ulrike Thomas, Mannheim
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