piwik no script img

Vorwärts für eine neue Verfassung

Rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen legt Entwürfe für neue Landesverfassung vor/ Grundrechtkatalog soll erweitert werden/ Für gesellschaftlichen und ökologischen Frieden  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Der Einigungsvertrag macht sie unausweichlich: eine neue Verfassung für Niedersachsen. Denn 40 Jahre lang sind die BürgerInnen des zweitgrößten Bundeslandes zwischen Hannoversch-Münden und Nordseeküste mit Hilfe einer Verfassung regiert worden, die Grüne und SPD heute gleichermaßen abschätzig ein „reines Organisationstatut für das Zusammenspiel der Staatsorgane“ nennen. Geht es nach der Landesverfassung so hat der Niedersachse bis heute keinerlei Grundrechte und das Land selbst weder Staatsziel noch grundlegende Werte, denen es verpflichtet sein sollte.

Anfang dieser Woche allerdings haben erst die Grünen und dann die SPD ihre Grundlinien für eine neue „moderne“ Landesverfassung präsentiert. Niedersachsen wird als einziges der alten Bundesländer bis heute „vorläufig“ regiert: Nach ihrem Artikel 61 tritt die bisherige „Vorläufige niedersächsische Verfassung“ aus dem Jahre 1951 genau eine Jahr nach dem Tage von selbst außer Kraft, „an dem das deutsche Volk in freier Entscheidung eine Verfassung beschließt“, und genau das sieht bekanntlich der Einigungsvertrag binnen zwei Jahren vor.

In den beiden ersten Verfassungsentwürfen, die Grüne und SPD jetzt vorgelegt haben, mischt sich denn auch einiges Neue mit viel Altbekanntem, das die Niedersachsen schlicht nachzuholen haben. Der wesentliche Unterschied zwischen den Entwürfen der beiden niedersächsischen Regierungsparteien liegt dabei im Quorum für die „Volksinitiative“. Nach den Vorstellungen der Grünen soll sich der Landtag mit der dem Volksbehren vorausgehenden Volksinitiative schon befassen müssen, wenn sie von 20.000 Stimmberechtigten unterzeichnet worden ist. Die SPD will 50.000 für eine solche Initiative verlangen, mit der vom „Volk“ Gesetzesentwürfe oder Entschließunganträge auf die Tagesordnung des Landtages gesetzt werden können. Die will dabei von allen Plebisziten die in Niedersachsen lebenden Ausländer von vorherein ausschließen. Nach dem Willen der Grünen sollen sich alle BürgerInnen des Landes daran beteiligen dürfen.

Sowohl Grüne als auch SPD wollen in puncto Grundrechte weit über die Garantien des Grundgesetzes hinaus gehen. So wollen die Grünen die „Förderung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern“ zur verfassungsmäßigen Aufgabe des Landes und der Gemeinden erheben. Im SPD-Entwurf heißt es dagegen nur: „Frauen und Männer haben unbeschadet ihrer Verschiedenheit das Recht auf Chancengleichheit.“ In Niedersachsen soll künftig auch niemand wegen „seiner sexuellen Orientierung“, seines Gesundheitszustandes oder seines Alters (SPD-Entwurf) oder wegen „seiner sexuellen Identität, seines körplichen, geistigen oder seelischen Zustandes, seiner Nationalität, seines Alters“ (Entwurf der Grünen) bevorzugt oder benachteiligt werden.

Der SPD-Entwurf enthält eine Friedensverpflichtung, die es staatlichem Handeln als Ziel setzt, den gesellschaftlichen und ökologischen Frieden zu wahren und gesellschaftliche Konflikte gewaltfrei zu lösen. Den Umweltschutz wollen auch die Grünen in der Verfassungs verankern.

Die erste öffentliche Anhörung zur neuen Verfassung soll heute vor einem vom Landtag eingerichteten „Sonderauschuß niedersächsische Verfassung stattfinden“, der öfftentlich tagen soll.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen