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Litauen hält an Volksbefragung fest

■ Gorbatschow erklärt per Dekret die rechtliche Unverbindlichkeit der Befragung/ Große Mehrheit der Polen und Russen für Unabhängigkeit

Vilnius (afp/taz) — Der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow hat die in Litauen für den 9.März angesetzte Volksbefragung zur Unabhängigkeit als Versuch gewertet, „das unionsweite Referendum vom 17.März über den Erhalt der Sowjetunion zu blockieren“. Alle Versuche, so Gorbatschow, die litauische Befragung als Referendum über einen zukünftigen litauischen Staat darzustellen, seien juristisch unhaltbar und würden zurückgewiesen werden. Litauens Präsident Landsbergis antwortete am Mittwoch, Gorbatschows Ukas spiegle eine alte Tradition der UdSSR wider, nach der Gesetz und Regierung nicht dem in freier Abstimmung bekundeten Willen des Volkes entspringen, sondern den Dekreten autokratischer Führer. Litauen werde nur nach seiner eigenen Verfassung und Gesetzgebung verfahren und die Volksbefragung zum vorgesehenen Termin durchführen.

Die Abstimmungsfrage für die Volksbefragung des 9.Februar lautet: „Wollen Sie, daß der litauische Staat eine unabhängige und demokratische Republik wird?“ Abstimmungsberechtigt sind alle Bürger, die vor November 89, dem Inkrafttreten des neuen Staatsbürgergesetzes, ihren ständigen Wohnsitz in Litauen hatten, dies unabhängig von ihrer Nationalität. Wer später nach Litauen gezogen ist, muß sich 5 Jahre in der Republik aufhalten, ehe er Staatsbürger und damit stimmberechtigt wird. Litauische Sprachkenntnisse sind für die Abstimmungsberechtigten keine Voraussetzung. Ausgeschlossen von der Abstimmung ist das in Litauen stationierte Militär, da es als „Okkupationstruppen“ angesehen wird.

Gegenüber der litauischen Fragestellung ist die des sowjetischen Referendums insofern unbestimmt, als man zwar für oder gegen eine demokratische Erneuerung der Union stimmen darf, nicht aber explizit für einen Austritt aus der Sowjetunion. Wer austreten will, muß sich dem Verfahren des Sezessionsgesetzes mit einer „Abkühlungsfrist“ von fünf Jahren, der obligatorischen vorhergehenden Einigung mit der Union in allen Steitfragen, dem Zustimmungsrecht der Unionsorgane und einer 2/3-Mehrheit für den Austritt unterziehen. Litauen hat dieses Gesetz als für sich nicht bindend erklärt, weil es vor seinem Erlaß seine Unabhängigkeit proklamiert hat.

Die 14 Toten bei der Erstürmung der Fernsehzentrale in Vilnius haben in Litauen einen für Gorbatschow äußerst ungünstgen Effekt gehabt. Gab es unter der polnischen und russischen Minderheit ursprünglich Zukunftsängste und sogar Sympathien für die prosowjetischen Kräfte, so zeigen jüngste Umfragen (von Mitte Januar), daß 3/4 der Russen und 2/3 der Polen für die Unabhängigkeit stimmen wollen. Bei den Litauern sind es — small wonder — 98 %.

Auch Lettlands Präsident Gorbunows hat das Unionsreferendum Gorbatschows zurückgewiesen und betont, eine Abstimmung über die Unabhängigkeit werde es nur gemäß den lettischen Parlamentsbeschlüssen geben. Gorbunows teilte mit, daß nur 1/5 der lokalen Sowjets Lettlands bereit sei, ein Referendum nach den Wünschen der sowjetischen Zentrale zu organisieren. C.S.

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