: Spekulationen über den Bodenkrieg
US-Öffentlichkeit wird schrittweise auf den Beginn der Bodenangriffe der alliierten Truppen vorbereitet/ Unterschiedliche Mutmaßungen über „Kampfmoral“ der irakischen Armee ■ Aus Washington A. Zumach
In kleinen Portionen, psychologisch geschickt, wird die US-amerikanische Öffentlichkeit von der politischen und militärischen Führung inzwischen auf eine Entwicklung im Golfkrieg vorbereitet, die möglicherweise zu großen Verlusten unter den Soldaten der US-Armee und der verbündeten Truppen führen wird: den Bodenkrieg gegen die im kuwaitischen Wüstensand eingegrabene irakische Armee.
In den US-Medien und unter Militärexperten wird in einem Ausmaß über diese nächste Kriegsphase spekuliert, das die Diskussionen vor dem 16.Januar, ob überhaupt ein Krieg gegen den Irak begonnen werden solle, weit übersteigt. Nach Informationen aus Geheimdienstkreisen ist es längst beschlossen, daß die Bodenangriffe bis Mitte Februar beginnen sollen. Doch Präsident George Bush, dem als Oberkommandierendem der Streitkräfte die wichtigen Entscheidungen über Kriegstaktik und den Einsatz von Massenvernichtungsmitteln vorbehalten sind, erweckt den Eindruck, als sei dies noch offen. Am Dienstag äußerte er sich erstmals öffentlich „skeptisch“ über die Möglichkeit, den Golfkrieg allein durch Luftangriffe zu gewinnen. Ab heute erkunden Verteidigungsminister Cheney und der US-Generalstabschef Powell in Saudi-Arabien die Lage vor Ort. Am Wochenende werden sie zur Berichterstattung bei Bush zurückerwartet. Danach dürfte der Beginn des Bodenkrieges offiziell bekanntgegeben werden.
Handfeste Anzeichen für einen baldigen Beginn der Bodenangriffe gibt es auch an der Golfkriegsfront. An der saudischen Golfküste übten die US-Marinestreitkräfte in den letzten Tagen Landemanöver, wie sie für den Bodenkriegsfall an der Küste Kuwaits vorgesehen sind. Kampfflugzeuge, die zur „Unterstützung“ der Bodentruppen Angriffe aus niedrigerer Höhe als bei den Luftattacken der letzten drei Wochen fliegen und punktgenau einzelne Ziele wie Panzer oder Artilleriewerfer der Irakis zerstören sollen, werden derzeit mit für derartige Operationen vorgesehenen Präzisionsraketen („Maverick“) bestückt.
In den USA verschiebt sich derweil die Debatte um das Für und Wider eines Bodenkrieges. Nur noch vereinzelt fordern Militärexperten und Mitglieder des Kongresses Präsident Bush auf, weiterhin ausschließlich auf Luftangriffe zu setzen. Über deren bisherige Wirkung gibt es nach wie vor widersprüchliche Angaben.
Wie schon die 'Washington Post‘ in der letzten Woche berichtet auch die 'New York Times‘ in ihrer gestrigen Ausgabe unter Berufung auf hohe Pentagonvertreter, die „Erfolge“ der Luftangriffe seien bei weitem nicht so groß, wie bislang von der militärischen Führung öffentlich dargestellt. Die Zahl getöteter irakischer Soldaten wird vom Pentagon nach wie vor auf lediglich 79 beziffert. BeobachterInnen vor Ort schätzen die Todesopfer auf mehrere Tausend. Sicher ist, daß es nach Beginn des Bodenkrieges zu einem großen Gemetztel unter den irakischen Soldaten kommen wird, wenn diese ihre Stellungen verlassen und dann weitgehend schutzlos den Bombenangriffen der USA und ihrer Alliierten ausgesetzt sind.
Die Informationen darüber, wie lange nach völliger Unterbrechung des Nachschubs aus Irak die bereits vor Kriegsbeginn in Kuwait angelegten Vorräte an Munition und Nahrungsmitteln reichen werden, schwanken zwischen drei Wochen und sechs Monaten. Entsprechend variieren die Einschätzungen über die „Kampfmoral“ der irakischen Bodentruppen. Die Mehrheit der Experten in den USA erwartet längerdauernde Bodenkämpfe und entsprechend hohe Verluste auch auf alliierter Seite. Diese Experten plädieren dennoch für den baldigen Beginn des Bodenkrieges in der Hoffnung, ihn bis zu Beginn des Ramadan Mitte März „siegreich“ zu beenden. Eine Minderheit rechnet damit, daß die Moral der irakischen Armee durch die massiven Luftangriffe der letzten drei Wochen bereits so angeknackst ist, daß sich die meisten Einheiten schon bald nach Beginn der alliierten Bodenattacken ergeben bzw. desertieren werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen