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Die Rückkehr der verlorenen Söhne

■ Gerhard Junge, der starke Mann des 1. FC Nürnberg, geht in die vollen/ Auf Dorfner folgt Eckstein PRESS-SCHLAG

Findet in Nürnberg eine geheimnisvolle Geldvermehrung statt? Da hat ein Verein nicht das nötige „Kleingeld“, um den Trainer zu entlassen, deswegen nimmt sogar der langjährige Präsident seinen Hut — und im gleichen Atemzug kauft dieser Verein zwei Nationalspieler. Beim 1. FC Nürnberg ist derzeit alles möglich. Für insgesamt 4,7 Millionen D-Mark kauft der abstiegsbedrohte Traditionsverein nach dem siebenfachen Nationalspieler Hans Dorfner vom Erzrivalen FC Bayern München nun auch den siebenfache Nationalkicker Dieter Eckstein von Eintracht Frankfurt. Zwei verlorene Söhne kehren in die Heimat zurück, um fortan gegen den Abstieg zu kämpfen. Die beiden teuersten Einkäufe in der 91jährigen Vereinsgeschichte sind für den Club ein gefährlicher Drahtseilakt. Auf Jahre hinaus hat sich der Tabellensiebzehnte damit in die Abhängigkeit eines Sponsors begeben. Jahrelang hatte Gerhard Junge, Chef des Diaherstellers „reflecta“, als Werbepartner des 1. FCN im Stillen gewirkt. Anfang Januar ließ Junge dann die Muskeln spielen und warf seine 100 Millionen D-Mark Jahresumsatz in die Waagschale. Ganz nach der Devise: „Wer zahlt, schafft an“, pochte er Seite an Seite mit dem inzwischen zurückgetretenen FCN-Präsidenten Gerd Schmelzer auf die Entlassung des Holländers Haan. „Der paßt nicht in unsere Landschaft“, mäkelte Junge und bekräftigte, er sei kein Sponsor, sondern „Werbepartner, der Erfolge sehen möchte“.

Der Werbevertrag mit dem 1. FCN ist durch die 2,3 Millionen D-Mark Ablöse für Dorfner und eine Finanzspritze für den mit 15 Millionen D-Mark in der Kreide stehenden Club auf vier Jahre hinaus ausgeschöpft. Einen Tag, nachdem Dorfner den bis 30. Juni 1995 datierten Vertrag unterzeichnet hatte, ließ Junge die Bombe platzen. Er müsse sich sein Engagement in Nürnberg noch einmal überlegen, verkündete er. Die Querelen beim 1. FCN seien für seine Firma „Antiwerbung in Reinkultur“. Panik ergriff daraufhin das frischgebackene Interimspräsidium. Wie soll man Dorfner bezahlen, wenn Junge sich zurückzieht? Eine Woche lang ließ der Unternehmer den Verein zappeln, bis er den Werbevertrag verlängerte. Arie Haan, der mit finanzieller Hilfe eines Büromöbelherstellers zum 1. FCN gelotst werden konnte, muß fortan zusätzlich Runges Werbeembleme tragen, darf dafür aber bis Saisonende die Mannschaft trainieren. Das war nichts alles. Als weitere Bedingung nannte Junge den Kauf eines Stürmers.

Nun drehte sich das Karussel der Namen von internationalen Superstürmern wieder. Ganze 52 Minuten vor Ende der offiziellen Wechselfrist wurde der Club fündig. Dieter Eckstein, im Herbst 1988 für 3,4 Millionen D-Mark von Nürnberg nach Frankfurt gewechselt, unterschrieb einen Zweijahresvertrag. In Nürnberg hatte der schnelle Blondschopf seine größten Erfolge und in 98 Bundesligaspielen 38 Tore erzielt. In Frankfurt war er in dieser Saison bislang nicht gerade ein Schrecken der Torhüter. Nur ein mageres Törchen ziert seine Erfolgsbilanz. Der sensible Stürmer hatte sich in Frankfurt schlicht „unglücklich“ gefühlt. Das FCN-Präsidium setzt jetzt darauf, daß Eckstein in seinem „Lieblingsverein“ befreit aufspielen kann. Vor allem sollen die beiden Heimkehrer die Zuschauermassen ins zuletzt recht leere nagelneue Frankenstadion locken und so der Ebbe in der Vereinskasse den Garaus machen. Wie schon beim Kauf von Dorfner geht der Eckstein-Transfer auf Junges Konto. „Wir zahlen nur sein Gehalt“, betont Schatzmeister Ingo Böbel. Den Rest berappt Junge, der sich die Vermarktung der Oberränge bis 1995 gesichert hat. Bis 95 hat der 1. FCN damit keine nennenswerten Werbeeinnahmen mehr. Nach soviel Schlagzeilen hat Junge nun auch seine vormalige Meinung geändert, niemals ein Amt beim 1. FCN anzustreben. Jetzt reizt ihn der Präsidentensessel. Bernd Siegler

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