piwik no script img

»In der Schweiz war es sehr sauber«

■ Wie ein westdeutscher Energiekonzern zwei ostdeutschen Dörfern eine Müllverbrennungsanlage verkaufen will

Premnitz/Döberitz. Burkhard Krüning verkauft Müllverbrennungsanlagen. Der Mittdreißiger im dunkelblauen Anzug und mit schwarzer Fliege, der auf seiner Brust ein Namensschild trägt, arbeitet hier im brandenburgischen Ort Premnitz, 70 Kilometer westlich von Berlin, für die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke AG in Essen, Abteilung Entsorgungsanlagen und Betriebe. Er hat sich vorgenommen: Diesmal soll alles anders werden. Der Industriekomplex soll nicht wie früher gegen den Willen der Betroffenen durchgesetzt werden müssen, sondern der Bürger soll von Anfang an über alles Bescheid wissen und mitreden dürfen.

»Eigenartig, die Leute haben kein Interesse«

Der Mann hat zusammen mit den drei höheren Mitarbeitern der Märkischen Faser AG ein 57 Seiten starkes Konzept entwickelt, das bereits in den beiden Rathäusern von Premnitz (11.600 Einwohner) und Döberitz (800 Einwohner) ausliegt. In den »Präsentationsunterlagen« ist dann auch nicht mehr wie ursprünglich von einer Müllverbrennungsanlage oder — wie später — von einem Abfallwirtschaftszentrum, sondern von einem Entsorgungszentrum die Rede.

Doch die Betroffenen wollen offenbar weder dicke Hefte durchwühlen noch mitreden. Joachim Aurich, parteiloser Bürgermeister in Premnitz, meint, daß er mit den ausgelegten Unterlagen »der Bürger auch nichts anfangen kann«. Sein Kollege aus Döberitz, der ebenfalls parteilose Hans-Joachim Brömme, findet das Verhalten seiner zum größten Teil arbeitslosen Bürger zwar »eigenartig, aber ein Interesse der Leute war nicht da«.

Bei Brömmes Interesse an dem Industrieprojekt wurde von den RWE allerdings auch ein bißchen nachgeholfen. Zusammen mit Aurich und 15 weiteren wichtigen Leuten aus den beiden Orten wurde er von dem Energiekonzern eingeladen. Erst ging's nach Essen und dann in die Schweiz: zwei Tage lang Müllverbrennungsanlagen angucken, alles inklusive — auch die Kosten für das Hotel.

Grenzwerte? »Das bekommen wir in Griff«

Brömme erinnert sich, daß es in der Umgebung der besichtigten MVA in der Schweiz »sehr sauber« gewesen sei. Aurich wundert sich allerdings auch heute noch über die andere Anlage in Essen. Ein Computer habe angezeigt, daß die Luft aus dem Schornstein die geltenden Grenzwerte für Schwefeldioxid überschreite. Ein Mitarbeiter habe dazu gesagt, daß sie das »in Griff« bekämen.

Einer wichtiger Mann fehlte bei der Busreise — der Pfarrer Vogel. Über den Kirchenmann aus Premnitz ist Werner Kersten, Mitarbeiter der Märkischen Faser und Projektleiter für das Entsorgungszentrum, verärgert, weil der »unsachlich argumentieren« würde. Auch Brömme ist auf den Protestanten, der bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace Mitglied ist, nicht gut zu sprechen: »Wer gegen etwas sein will, muß sich richtig informieren.« Brömme hat sich nicht nur von der RWE informieren lassen, sondern auch vom Landtag in Nordrhein-Westfalen und vom Bundesministerium für Umwelt. Sein Fazit: »Ich bin für so eine Anlage. Eine Deponie ist nicht so gut unter Kontrolle wie ein Schornstein.«

Genauso hatte auch Diplomingenieur Krüning für das Eine-Milliarde-Mark-Projekt argumentiert. Er konnte nicht ahnen, daß an diesem verschneiten Februartag der Bürgermeister von Döberitz den Satz zwei Stunden später wortwörtlich wiederholen würde. In dem verlassenen, aber gut geheizten Verwaltungstrakt der Märkischen Faser AG nennt Krüning für das Entsorgungszentrum aber noch weitere Gründe. Es verschaffe der örtlichen Bevölkerung Arbeitsplätze im Werk, und die mittelständischen Betriebe aus der Umgebung würden Aufträge für Bauarbeiten und Reparaturen erhalten. Ein Müllentsorgungszentrum würde darüber hinaus weitere Industrie an diesen Standort locken, weil die ihren Sondermüll direkt vor Ort loswerden könnte. Das würde weitere Arbeitsplätze bedeuten.

Und Arbeitsplätze haben die Einwohner von Döberitz und Premnitz dringend nötig. Seit der Wende mußten bei der Märkischen Faser — Deutschlands ältestem Kunstfaserbetrieb — schon 3.000 Leute gehen. Weitere 1.700 sollen folgen. Dann würde der 150 Hektar große Industriekomplex nur noch 2.300 Leuten Arbeit geben. Da sollen die Döberitzer und Premnitzer doch froh sein, daß es den Mann von der RWE gibt, oder? Nur das Namensschild erinnert daran, daß Krüning etwas verkaufen will. Dirk Wildt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen