: NRW-Rundfunk verfassungsgemäß
Karlsruher Verfassungsrichter weisen Klage der CDU-Medienideologen zurück/ Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gestärkt/Ein Blick in das Urteil ■ Von Jürgen Bischoff
Hervorragend verkauft hat sich die nordrhein-westfälische Landesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht. Bis auf einen einzigen Punkt sind gleich zwei Rundfunkgesetze, nämlich das WDR-Gesetz von 1985 und das Landesrundfunkgesetz von 1987 zur Regelung privaten Rundfunks, von den roten Roben in Karlsruhe als verfassungsgemäß abgesegnet worden (wir berichteten kurz). Das sogenannte „Sechste Rundfunkurteil“ ist somit das erste, das ein beklagtes Gesetz nicht in entscheidenden Punkten zerrupft.
Ein Novum war auch, daß die Klage aus den Reihen der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion stammte. Bislang standen immer nur Mediengesetze und -aktivitäten der CDU auf dem Prüfstand. Doch nicht die mangelnde Klageroutine der Konservativen bescherte ihnen eine deftige Niederlage. Es war die ideologische Fixiertheit auf den vollkommen freigegebenen, an gesellschaftliche Verantwortlichkeit kaum noch gebundenen privaten Rundfunk, in den sich die CDU (und in Teilbereichen mit ihr die FDP) verrannte.
Mit Verve und großem publizistischem Getöse vertrat die CDU/CSU anläßlich der Verfassungsgerichtsverhandlung im Oktober die These von dem „Medienkranken WDR“, der sich mit gesetzgeberischer Rückendeckung der Düsseldorfer SPD- Regierung ordentlich breitmache. Beteiligungen an Unternehmen und eine Ausweitung der Aktivitäten in neue publizistische Bereiche sei dem WDR in dem Maße erlaubt, daß mögliche andere Wettbewerber kaum eine Chance gegen den nordrhein-westfälischen Platzhirschen hätten. Zudem böte das nordhrein- westfälische „Zwei-Säulen-Modell“ den nordrhein-westfälischen Veranstaltern kaum ein Chance für eine echte Entwicklung. Private Rundfunkunternehmer hätten nach diesem Gesetz nicht einmal mehr die Freiheit der Programmgestaltung.
Diesen Bedenken erteilte das Bundesverfassungsgericht eine herbe Abfuhr. Den Rundfunk-Ideologen der Regierungskoalition ins Stammbuch schreibt das Verfassungsgericht stattdessen: „Das Grundgesetz gibt keine Modelle für die Rundfunkordnung vor, sondern nur ein Ziel: die Freiheitlichkeit des Rundfunkwesens.“ Gleichzeitig betonen die Richter erneut, daß den öffentlich- rechtlichen Runfunkanstalten nicht der Zugang zu neuen technischen Möglichkeiten verwehrt werden dürfe, wie es die CDU-Klage in Begünstigungsabsicht für die Privaten nahelegen wollte. In diesem Sinne darf der WDR (und mit ihm alle anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten) sich nun ausdrücklich an anderen Projekten beteiligen.
Auch die Werbefinanzierung bleibt den öffentlich-rechtlichen Anstalten erlaubt. Hier wollte die CDU mit ihrer Klage den WDR auf die Rundfunkgebühren einschränken, um den Privaten die Werbekuchen zuzuschanzen.
Intensiv befaßt sich das Gericht auch mit der Frage einer eigenen Programmzeitschrift, ähnlich wie sie in England von der BBC herausgegeben wird. Auch dies verstößt nicht gegen die Verfassung, allerdings nur solange, wie sich die Inhalte der Zeitschrift rein auf Programmplanung, -struktur und Personalia beschränken. Eine „hiervon losgelöste pressemäßige Berichterstattung oder allgemein unterhaltende Beiträge“ hätte aber schon keine verfassungsmäßige Grundlage mehr. Springers 'Hör zu‘ braucht also keine Angst vor aufkommender Konkurrenz zu haben, denn schon ein normales Kreuzworträtsel wäre nach dieser allzu engen Karlsruher Auslegung zu viel.
Was das NRW-Privatfunkgesetz betrifft, so scheint insbesondere der Verlauf der Verhandlung in Karlsruhe die Richter davon überzeugt zu haben, daß das NRW-Modell in der Absicht, einen wirtschaftlich-tragfähigen lokalen Rundfunk abzusichern, recht brauchbar ist. Präsident Roman Herzog, einstmals selbst Minister im Stuttgarter Landeskabinett, hörte aufmerksam den Ausführungen der NRW-Landesregierung zu, möglicherweise nicht zuletzt unter dem Endruck der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der baden-württembergischen Lokalsender, die sich nach CDU-Konzepten hemmungslose Konkurrenz liefern. So mag auch zu erklären sein, daß die Richter darauf hinwiesen, daß das Verfassungsgericht nie gesagt habe, daß Lokalfunk nur nach baden-württembergischem Muster organisiert werden dürfe. Die Gestaltungsfreiheit, die ein Landesgesetzgeber hat, erlaube stattdessen sowohl Mischsysteme in der Organisationsstruktur, als auch ein gesetzlich verankertes Mindestniveau für die publizistische Vielfalt des Rundfunks — gerade im Lokalen — solange dies nicht die wirtschaftlichen Chancen unzumutbar beeinträchtige. In diese Hinsicht meint das Gericht, daß die Praxis in den NRW-Lokalstationen keine Anhaltspunkte dafür ergäbe, daß die wirtschaftlichen Chancen stark beeinträchtigt seien.
Bemerkenswert an dem Urteil sind übrigens auch die Ausführungen zu den Regelungen zur journalistischen Mitbestimmung im NRW-Privatfunk. Eine eingehende Anaylse dieser Passage kann für die lange Zeit erlahmte Debatte um die „innere Pressefreiheit“ neue Ansatzpunkte ergeben.
Ohne Einschränkungen billigte das Gericht auch die Beteiligung der Kommunen am NRW-Lokalfunk und die sogenannte „15-Prozent- Quote“, mit der sich autonome Bürgergruppen weitgehend ungefiltert am täglichen Programm beteiligen können.
Schließlich bekamen die CDU- Ideologen auch noch bei ihrem Begehren, ihnen nahestehenden Gruppen Rundfunkratsmandate zu verschaffen, einen auf den Deckel: Rundfunksratsmitglieder seien zu allererst der Rundfunkfreiheit und damit der Allgemeinheit verpflichtet; deswegen dürfte auch schon mal die gewerkschaftliche Seite stärker vertreten sein als die Unternehmerseite. Auch hier wird dem Landesgesetzgeber weitgehende, aber verantwortungsbewußte Gestaltungsfreiheit zugebilligt. Gerade dies sahen die Richter in den beiden NRW-Gesetzen gegeben, was die Juristen in der Düsseldorfer Staatskanzlei durchaus adelt.
Ein Schönheitsfehler hat das Düsseldorfer Gesetzespaket: Johannes Raus Haus darf in Zukunft nicht mehr die Frequenzen an die Sender verteilen. Da muß die Kompetenz von der Exekutive auf die Legislative verlagert werden, um der Staatsfreiheit des Rundfunks mehr Geltung zu verschaffen. Aber diese Position des Verfassungsgerichts war schon seit 1986 bekannt.
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