: Kein Pferd zum Verlieben dabei
■ Gemeines „Pferdesport-Festival“ zu Ende / Nobles „German Classics“ kommt
JedeR hat so sein eigenes Verhältnis zum Pferd. Zum Beispiel Bremens Stadthallendirektor Heinz Seesing, in dessen Hallen sich bis gestern das viertägige „Bremer Pferdesport-Festival“ zutrug: „Ich bin Müllersohn. Mein Vater hatte acht Pferde. Das eine hat er gestreichelt, dem anderen mußte er schon mal mit der Peitsche nachhelfen. Jedes Tier hat eben ein anderes Wesen.“ Aus dieser ungebrochenen Kindheitserinnerung begründet sich auch Seesings unkomplizierte Einstellung zum hierzulande verbotenen „Barren“ und zum Großmeister des „Barrens“, dem Seesing-Geschäftspartner und Ex-Springreiter Paul Schockemöhle. Schockemöhle war im Sommer 1990 in einem spektakulären Fernseh-Bericht nachgewiesen worden, daß er in seinem Gestüt Pferden, die ein Hindernis sauber übersprungen hatten, mit einer Holzlatte vor die Vorderbeine schlug, um sie zu noch höheren Sprüngen anzutreiben. Nach diesen Enthüllungen hatten sich Sponsoren vom „German Classics“ 1990 in der Bremer Stadthalle, das Europas nobelstes Reit- und Springturnier werden sollte, zurückgezogen. Seesing war damals für „weitermachen“ gewesen, doch sein Partner Schockemöhle hatte gescheut. Aber nicht lange: Denn im Oktober 1991 wird Paul Schockemöhle in Seesings Hallen „weitermachen“. Gemeinsam mit Ian Tiriac, der für begüterte Tennis-Fans in München die „German Classics“ erfunden hat. Damit das zweite „German Classics“ zu Pferde '91 nicht so ein BesucherInnen-Flop wird wie die Premiere in '89, will Seesing einiges tun: Die Eintrittskarten sollen nicht erst ab 80 Mark aufwärts, sondern schon für 10 Mark zu haben sein. Und ansonsten solle die Devise gelten: „VIP's müssen sein, dürfen aber nicht dominierend.“ Logen würden für ca. 5.000 Mark vermietet.
Der Wirtschaftssenator, unzufrieden mit der Auslastung der Stadthalle, hatte kürzlich ein Gutachten in Auftrag gegeben. Seesing konterte: „Wir wissen, daß die Sachkompetenz bei einigen Entscheidungsträgern nicht gegeben ist. Insofern ist es gut, daß sie sich der Sachkompetenz von Gutachtern bedienen.“
Bis das „German Classics“ 91 eröffnet wird, muß Seesing noch das „Bremer Pferdesport-Festival“ abrechnen. „Ausverkauft“ war hier nur der Gala-Abend. Nur zu einem Drittel besetzt waren die Ränge dagegen beim Springturnier, dem „Großen Preis von Bremen“, bei dem die bundesdeutsche ReiterInnen-Elite über die Hindernisse jagte. Wer sich's nicht im Fernsehen, sondern live in der Stadthalle anschaute, und das waren 3.200, hatte seine Gründe: Manche, wie die 19jährige Besitzerin eines „Mountain- Welsh-Ponies“ interessierte sich dabei weniger für die Springkünste in der Halle als für die Angebote in den Fluren: Westernsättel, Elektrozäune, kolorierte Graphiken mit englischen Herrenreitern, Energiewürfel für Pferde... Eine schwungvolle 79jährige war eigens aus Cuxhaven angereist: „Weil ich Pferde liebe. Als Kind habe ich auf dem Jahrmarkt mein Geld verritten. Einen Strandkorb hat man gehabt, aber doch keine Pferd.“ Sie will auch nächstes Jahr wieder kommen. Eine Jugendliche, die die kahl geschorenen, streng frisierten Hengste beim Aufwärmen begutachtete, war dagegen enttäuscht: „Es ist noch kein Pferd dabei, in das ich mich verliebt hab'.“ Barbara Debus
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