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Gegen die tödliche Gewöhnung an den Vernichtungskrieg

■ Ein Abend für den Frieden von der Frauenaktion »Scheherazade« im Haus der Kulturen der Welt/ Mit Sprache entwaffnen?

Tiergarten. Wieviel Kultur verträgt eine Veranstaltung gegen den Krieg? Sind Märchen und Bauchtanz unpolitisch? Über derlei Fragen überwarf sich das Publikum Freitag abend im Haus der Kulturen der Welt. Eingeladen hatte die Frauenaktion Scheherazade zu einem Abend für den Frieden. In Anknüpfung an die Legende von jener arabischen Märchenerzählerin, die angeblich mit 1001 Geschichten ihren Mörder psychologisch entwaffnete, sollte die Sprache als (Aus)weg aus dem Vernichtungskrieg im Mittelpunkt des Abends stehen. Deutsche und arabische KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen trugen mit Lesungen, Musik, Tanz und Vorträgen zum Programm bei.

Helma Sanders-Brahms, Autorin und Filmemacherin, las zur Eröffnung aus der von ihr bearbeiteten Märchensammlung 1001 Nacht. »Gegen das tödliche Schweigen der Männer«, die sich bereits mit dem Krieg auf irgendeine Weise arrangiert haben, rief Hannelore May von der FrauenfrAKTION auf. Doch die Mitinitiatorin des Scheherazade-Aufrufs für eine Welturabstimmung über den Krieg und einen sofortigen Waffenstillstand hält es selbst für eine Illusion, daß »die Mörder durch unser Sprechen aufzuhalten sind. Wer sind unsere Adressaten, wer hört uns überhaupt zu?«

»Im Ernstfall verschlägt es uns die Sprache«, oder es bliebe Frauen nur »Weinen und Schreien«. Wann aber habe dies einen Despoten je beeindruckt, ging die Malerin und Autorin Gisela Breitling mit ihren Geschlechtsgenossinnen ins Gericht. Gegen weibliche Stummheit und Gefühligkeit stellte sie als Vorbild die Schwestern Scheherazade und Dinarzade. Erstere, weil sie nicht geweint und geschrien habe, sondern ihren Verstand behalten und mit Erfindungsreichtum und Klugheit »um Kopf und Kragen geredet« habe. »Scheherazade hat«, so Gisela Breitling, »durch ihre Rede das Gesetz des Handelns bestimmt, den Killer zum Zuhörer gemacht.« Dinarzade hingegen habe ihre Schwester zum Sprechen ermuntert, habe sie — was Frauen untereinander sonst nicht täten — »zur Rede gestellt« und ihr somit beim Überleben geholfen.

Das »Klischee der Scheherazade« ließ einigen arabischen und deutschen Frauen unter den rund 200 Zuhörerinnen schließlich den Kragen platzen. »Wann kommt endlich das Politische?« Die Märchen aus 1001 Nacht seien die Fortsetzung des »kolonialen Diskurses«, Phantasie der westlichen Zivilisation über das Exotische und Wilde der von ihr eroberten fremden Kultur. Schluß mit Märchen und Bauchtanz, Diskussion (zum Beispiel über die Sinnhaftigkeit der Scheherazade-Aktion) und Information forderten die Kritikerinnen. Die VeranstalterInnen und etliche Zuhörerinnen waren ob dieser lautstarken Intervention düpiert. Im Gezänk ging unter, was dem Abend tatsächlich noch eine interessante Wende hätte geben können: eine Diskussion mit der Ägypterin Omnya el Naggar. In einem kurzen »Porträt der arabischen Jugend« hatte die 23jährige Politikwissenschaftlerin aus Kairo versucht zu erklären, wie junge Männer und Frauen aufgrund des »alten kulturellen Konflikts« zwischen Okzident und Orient und dem »neuen ökonomischen Konflikt zwischen Süden und Norden« entweder in die politische Apathie oder in »militante muslimische Gruppierungen« getrieben wurden.

Im Namen der arabischen Jugend forderte Omnya el Naggar den sofortigen Rückzug der alliierten Streitkräfte aus dem Nahen Osten, eine arabische Lösung der arabischen Ländern und: »Die amerikanische Regierung muß endlich aufhören, den Aufpasser über Sitte und Moral der arabischen Länder zu spielen.« uhe

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