Autos rodelten über die Straßen

■ Übers Wasser in die Sacrower Heilandskirche und auf Skiern durch die Allee der Kosmonauten/ Gegen Eisblumen in der Toilette hilft der elektrisch beheizte Frostwächter

Berlin. Der Fahrer des grauen Hondas wartete, wie sich das so gehört, an der Kreuzung auf das grüne Ampellicht und ahnte nicht, daß sich fünfzig Meter hinter ihm, in einem blauen Benz, das Drama des unendlichen Bremsweges anbahnte. An der Bushaltestelle schoben sich die Leute noch schnell die Mützen aus der Stirn, um Augenzeuge des Unvermeidlichen zu werden. Zwanzig Meter vor der Ampel rutschte der Benz immer noch mit Tempo dreißig wie ein Puck in der Eissporthalle. Weil das Bremsen offensichtlich nichts mehr nutzte, verlegte sich der Chauffeur auf energisches Hupen, als wollte er seinem Vordermann noch weitere zehn Meter abtrotzen. Aber der blieb eisern stehen, schließlich war die Ampel ja rot. »Gleich kracht's«, erkannte fachmännisch ein Mittfünfziger an der Bushaltestelle. Und es krachte.

Nein, das ist nicht das Exposé für einen neuen Manta-Witz, sondern eisige Realität — in diesem Fall auf spiegelglatter, ungestreuter Straße in Dahlem beobachtet. In Berlin blieb es bis gestern bei kleineren Beulen und Kotflügelkratzern, denn die Angst ums eigene Blech sorgt für Verkehrsberuhigung in der ganzen Stadt. Beim Lagedienst reagierten die Polizeibeamten fast ergriffen auf die disziplinierte Fahrweise auf den Straßen. »So richtig vorbildlich«, schwärmte der Diensthabende. In den neuen Bundesländern reihte sich dagegen eine Horrormeldung an die andere: Zwei Tote, über vierzig Verletzte bei mindestens 370 Unfällen wurden aus Sachsen-Anhalt gemeldet. Vier Tote, über 70 Verletzte registrierte die Polizei auf den Autostraßen in Thüringen. Unfallursache in aller Regel: zu geringer Sicherheitsabstand, zu schnelles Fahren.

In Berlin benutzten dagegen viele anstatt der Autos Ski, Schlittschuhe oder die BVG. Auf dem Wannsee war sogar die Fahrrinne zugefroren, die Ausflügler wandelten oder radelten auf der Eisdecke zwischen Glienicker Brücke, Pfaueninsel, S-Bahnhof und der Sacrower Heilandskirche. Zahlreiche Ostberliner SchülerInnen läuteten auf den zugefrorenen Seen im Hellersdorfer Wuhletal ihre Winterferien ein. Auch die Bewohner der Ostberliner Neubaubezirke freuten sich laut 'adn‘ »über die geschlossene Schneedecke«, was beim Anblick, der sich ihnen sonst bietet, nicht weiter verwunderlich ist. Gute Schneeverhältnisse wurden auch aus Saalbach, Val d'Isere, den Müggelbergen, dem Teufelsberg und vom Flughafen Schönefeld gemeldet. Dort trübte in den Morgenstunden starkes Schneetreiben die Sichtweite der Piloten.

Ausgesprochen ungehalten über die winterlichen Verhältnisse reagierten rund 90 MieterInnen und HausbesitzerInnen, die seit dem Kälteeinbruch wegen Rohrbrüchen die Feuerwehr alarmieren mußten. Besonders hart betroffen sind, wie immer, HausbewohnerInnen mit Kohleofen, deren Keller unter Wasser stehen. Da Kohlen bekanntlich nicht schwimmen, sind sie darauf angewiesen, daß die Feuerwehr möglichst schnell das Wasser abpumpt.

Wer weiterhin befürchten muß, irgendwann Eisblumen in der Kloschüssel zu entdecken, dem empfiehlt der Berliner Mieterverein, sich beim Vermieter um einen elektrisch beheizten Frostwächter zu bemühen. Bleibt noch die Wettervorhersage: Es wird wieder kälter, um nicht zu sagen: saukalt. anb/thok