piwik no script img

Alte Freunde verlieren

■ „Elysian“ von M.Walking On The Water

Vor langer Zeit und doch nur wenigen Jahren fanden Konzerte von M.Walking On The Water fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Hauptsächlich Anverwandte und engste Freunde standen zu wenigen locker verteilt in den Sälen. Trotzdem und gerade deswegen waren diese Konzerte bestimmt von einer herzlichen Atmosphäre, und die Bremer Band paßte sich dieser Umgebung an und spielte so zärtlich, daß sich nicht nur frisch Verliebte tief in die Augen blickten, und zugleich so ungestüm, daß auch die Freunde des Hoppel-Folk ausreichend transpirieren konnten.

Sie waren sensible Seelen, die ihr Innerstes nach ganz weit draußen kehrten und von ihren Platten tropfte das Schmalz in breiten Strömen. Doch M.Walking On The Water schafften es immer wieder, selbst ihre kitschigsten Balladen vor dem Abschmieren in Peinlichkeit zu bewahren. Dies gelang ihnen vor allem durch die Marotte, normalen Allerwelts-Folk mit möglichst obskuren Instrumenten, Klängen und Geräuschen anzureichern. Dabei wurde eine fast beatleske Manie entwickelt, denn von Sampling scheinen sie noch nichts gehört zu haben. Öfter brachen sie auch einfach mit purem Lärm den reinen Wohlklang auf. Kaum ein Stück klang wie ein anderes, klirrende E-Gitarren, Celli oder Dudelsäcke, normaler 4/4, Walzer oder Flamenco — möglich war alles und komischerweise paßte es immer zusammen. Das Pech von M.Walking On The Water war, daß die Polydor ab und an hoffnungsvolle Independent-Bands kauft und aufbaut. So gerieten unsere Bremer Freunde in die Fänge der Industrie und erlagen der Verführung. Und manchen Menschen sollte man einfach nicht zuviel Geld geben, um ihre Platten zu produzieren. Elysian klingt glatt, weil die melancholische Grundstimmung zwar noch vorhanden ist, aber nicht mehr gebrochen wird, und so mariniert, daß einem unweigerlich von der Remoulade schlecht wird. Dabei haben M.Walking On The Water sogar selbst produziert. Jeder Ton klingt wie fünfmal umgedreht, nochmal weggeworfen und was neues gesucht. Das Ganze ist so widerlich perfekt, daß man nicht einmal merkt, daß man irgendwann nicht mehr zuhört. Was bleibt ist Gesülze, wie es zum Beispiel die Hothouse Flowers eher noch besser können. Das Elysium ist der Aufenthaltsort der Seligen in der griechischen Sagenwelt. Wenn es dort nur halb so langweilig ist, würde da keiner mehr hinwollen.

Vielleicht schaffen sie es damit sogar bis in die Charts, aber ihre alten Freunde werden sie verlieren. Leuten, die M.Walking On The Water bisher noch nicht kannten, sei deshalb eher eine ältere Platte empfohlen. Pluto von 1989 strotzte noch vor obskuren Einfällen und entfaltete ihren morbiden Charme auf die wunderhübscheste Weise, und mit Nikki Sudden und The Jazz Butcher haben auf Pluto auch noch ein paar alte Freunde mitgespielt. Thomas Winkler

M.Walking On The Water: Elysian, Polydor LP 847778-1

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen