: Abgang eines Theatermonarchen
■ Luciano Berios „Un re in ascolto“ an der Opéra Bastille in Paris
Daß große Häuser zunehmend „unregierbar“ werden, ist in den letzten Jahren gerade auch im Theatersektor häufig zu beobachten: daß den Chefs — durch die Eigendynamik der Betriebswirtschaft und durch die eigenen Schwächen — das Szepter entgleitet. Eine Erfahrung, die in Paris nun wirklich nicht fremd ist. Man hat hier schon etliche Sonnenkönige des Kulturbetriebs stürzen sehen oder zum Abdanken gezwungen. In bester Erinnerung ist das Verschwinden des Daniel Barenboim, dem das neue Riesenschiff des Musiktheaters, welches da an der Place de la Bastille aufgelaufen ist, untertan sein sollte.
Um Prospero, einen alternden Theaterdirektor, ranken sich die zwölf Szenen Italo Calvinos, zu denen Luciano Berio seine so klangschöne Musik schrieb; Musik mit weithin von Melancholie und Trauer umflorten Melodien, vielfarbigem und mehrschichtigem Orchestergewebe. Die schwelgerische Nostalgie der kunstvoll gefügten Partitur blühte unter der Leitung von Stephen Harrap auf — und das Pariser Opernpublikum, sonst dem Neuen nicht sonderlich intensiv zugetan — zog sie sich zwischen verschärften Sicherheitsvorkehrungen, Apéritif und Diner mit sichtlichem Wohlbehagen ein.
Die Hindernisse an den Pforten aller größeren Veranstaltungsräume sind in Paris gegenwärtig ungleich konsequenter als jenseits des Rheins, rigid die Taschenkontrolle und die polizeiliche Inaugenscheinnahme, da der französische Wille, die Kultur des Abendlandes zu verteidigen, ja manifester zutage tritt als der deutsche, also auch die Gefahr der Ausdehnung des Heiligen Krieges als wahrscheinlicher angesehen wird. Aber das vergaß man rasch wieder, als Berios schwebende Klänge einsetzten und das klassizistische Direktorenzimmer sich auf der goldgerahmten Bühne zeigte. Noch war er ganz Herr der Lage, der Theatermonarch hinterm überdimensionalen Schreibtisch, durchaus durstig nach einer neuen Operngroßtat, zu der im Hintergrund die Proben beginnen.
Das an das Palais Garnier erinnernde Ambiente erblaßt, wird hochgezogen und weggeschoben. Es zeigt sich die Arbeitsatmosphäre für eine moderne Adaption von Shakespeares Sturm. Graham Vick markiert den Kontrast zwischen dem Theaterprinzipal und seinem Oberspielleiter deutlich: Der erste ist des Trubels müde, sehnt sich nach einem Theater der inneren Spannungen, einem nachdenklichen und besinnlich stimmenden Kunstschaffen, während der zum Zuhören kaum fähige Macher für Trubel, Turbulenz und Turner auf der Bühne sorgt: Akrobaten und Tänzer tummeln sich da, die Jungfrau wird zersägt, und der Opernchor erhebt sich in die Höhe — jeder der Sänger schwebt einzeln durch den enorm großen Bühnenraum der Opéra Bastille. Prospero ist vom Vorsingen der möglichen Sopranistinnen gelangweilt oder sogar angewidert, obwohl Edda Moser ja nun wirklich vortrefflich die Stimme zu zeigen versteht.
Den Träumen folgen Ernüchterungen. Man wird gewahr, daß der Herr Direktor wohl krank ist, schwer angeschlagen. Die von Graham Vick organisierte Geschäftigkeit auf der Bühne, an der von den Protagonisten bis zu den Bühnenarbeitern alle beteiligt sind, hält an — als traue dieser Regisseur der Musik nicht, die doch — wie Calvinos Text — auf etwas ganz anderes hinausläuft: auf den fast süßlich schönen Abgesang Prosperos, dem freilich stets ein bitterer Nebengeschmack beigemischt bleibt. Wie das Libretto, so operiert auch Berios Musik vielfältig mit Motiven der Geschichte, ohne freilich tongetreu zu zitieren.
Gerade aber die Partituren Gustav Mahlers und anderer „klangsüchtiger“ Musik dürften bei diesem Werk Pate gestanden haben, das sich mehr und mehr auch als eine beim Publikum erfolgreiche Oper erweist.
Eine Krankengeschichte auch sie, wie viele bedeutende Stücke des Musiktheaters seit Wagner: „Il mio regno non si vende nè si tocca“, singt Prospero im zweiten Durchgang. Er weiß, daß sein Theater, das ihm noch immer als große Vison vorschwebt, daß sein Reich schon nicht mehr von dieser Welt ist. Er weiß, daß er über dieser ungeheuer konzipierten und doch zum Scheitern verurteilten Produktion wird sterben müssen. Und während er es tut, ziehen seine Leute, zieht die Theaterkarawane weiter: The show must go on. Und leiser wird die Ariel-Musik, hörbar von Schatten überlagert. Sogar abgerechnet ist, zu Ende die Anklage der Protagonistin gegen den ungekrönten König des Theaters, gegen das Leben in seinem Theater und das Theater in ihrem Leben. Nichts als Theater. Er horcht und horcht. Horcht, bis es ganz still ist. Frieder Reininghaus
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