piwik no script img

„Ich hoffe, daß unsere Politiker dem Druck von außen standhalten“

■ Der Tübinger Schriftsteller und Rhetorikprofessor Walter Jens äußert sich zum kürzlich gegründeten Förderkreis „absent soldiers“ und zur Hilfe für untergetauchte GIs

taz: Herr Jens, Sie unterstützen den kürzlich in Tübingen gebildeten Förderkreis „absent soldiers“, der untergetauchten US-Soldaten hilft. Ist das falsch verstandene Friedensliebe?

Walter Jens: Die Aufforderung der Bergpredigt ist eindeutig. Sie lautet: wohl denen, die Frieden stiften. Diesen Appell hat jeder Christ zu befolgen — auch um den Satz Tucholskis „Gewehre rechts, Gewehre links, das Christkind in der mitten“ zu widerlegen. Es hat nie einen gerechten Krieg gegeben; es gibt ihn heute weniger denn je. Opfer ist die Zivilbevölkerung.

Auch Sie haben zwei US-Soldaten Unterschlupf gewährt. Was haben Sie von den beiden gelernt?

Daß es sich nicht um Deserteure handelt, sondern um „absent soldiers“. Die beiden hatten bereits im letzten Jahr einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gestellt und warteten auf ihren Anwalt, mit dem sie sich nun im März treffen wollen. Wir und unser Freund, der Theologe Norbert Greinacher, werden den beiden ein Zeugnis ausstellen. Daß wir sie aufgenommen haben, ist eine schlichte Selbstverständlichkeit. Es gibt die sieben Gebote der Barmherzigkeit, zu denen auch die Aufnahme in Not geratener Menschen zählt.

Nun haben sich nicht wenige Soldaten vor ihrer Verlagerung nach Saudi-Arabien von der Truppe abgesetzt — weil ihre Ziele dort keine Pappkameraden mehr sind.

Das ist richtig. Man darf nicht vergessen, daß die Soldaten — zumal aus der schwarzen Bevölkerung — zu einem nicht geringen Teil aus Angehörigen jener Schichten bestehen, die keine andere Möglichkeit einer Lebensfristung als in der Armee haben. Viele Leute erkennen auch erst dann, wenn es ernst wird, was es bedeutet, auf andere Menschen zu schießen. Meine Frau und ich haben immer nur zu Aktionen aufgefordert, die wir selbst getan haben oder tun würden. Wir würden beispielsweise nicht zu einer allgemeinen Desertion aufrufen, weil wir selbst nicht desertieren können — wohl aber nachdrücklich dazu, denen Hilfe zu leisten, die sich von der Truppe absetzen. Daß wir uns darüber hinaus als Pazifisten über jeden freuen, der den Kriegsdienst verweigert, steht auf einem anderen Blatt.

Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Sie und ihre Frau wegen Beihilfe zur Fahnenflucht. Wie stehen Sie zu den Vorwürfen?

Wir sehen den Vorwürfen mit Ruhe und Heiterkeit entgegen. Wir kommen beide aus der Zeit des Nationalsozialismus. Die Gefährdung jener Menschen, die damals andere versteckten, steht tausendfach über dem, was wir getan haben. Natürlich sind wir bereit, für diese Tat geradezustehen. Man kann nicht immer den Carl von Ossietzki preisen und die Konsequenzen, die er von 1933 gezogen hat, nicht auch tragen wollen — notfalls ins Gefängnis zu gehen. Ich glaube zwar nicht, daß es dazu kommen wird, aber ein wenig Konsequenz kann man uns schon abverlangen. Wir würden unsere Unterstützung bei anderen Kriegsdienstverweigerern wiederholen. Es fragt sich nur, ob wir diesen Menschen weiter nützlich sein können, nachdem unsere Adresse bekannt ist. Selbstverständlich würden wir den Menschen helfen, die sagen, wir wissen nicht wohin, wir wollen nicht schießen oder wir wollen nicht ermordet werden.

Der Rechtsanwalt Fritz Hahn (FDP), der Sie angezeigt hat, hat zudem Strafanzeige gegen den Förderkreis gestellt — wegen des Verdachts, eine kriminelle Vereinigung nach Paragraph 129a Strafgesetzbuch gebildet zu haben.

Da sehe ich uns alte Tübinger Wissenschaftler im Schönbuch sitzen und Verschwörungen abhalten — das ist so absurd und lächerlich, daß ich diesen Vorwurf gelinde gesagt nur als Ausdruck von Wichtigtuerei ansehen kann.

Hahn wirft dem Förderkreis auch vor, die Mitglieder hätten jegliches Gespür dafür verloren, was für eine jämmerliche Erscheinung ein in Kriegszeiten desertierender Soldat sei.

Jämmerliche Gestalten sind diejenigen, die Flächenabwürfe von Bomben befehlen, unter denen zu Tausenden Menschen sterben. In meinen Augen sind sie sogar kriminelle Gestalten.

Allein im Januar haben in der Bundesrepublik 22.000 den Kriegsdienst verweigert. Unter dem Druck des Golfkriegs wird auch mit einem weiteren Anstieg der Zahl von Soldaten gerechnet, die sich von der Truppe absetzen.

Ich glaube und hoffe, daß die Zahl steigen wird. Aus den Reaktionen, die uns von sehr unterschiedlichen Leuten erreichten, schließe ich, daß auch die Zahl derer sehr groß ist, die diesen Menschen dann Unterkunft, Beistand und ein hilfreiches Gespräch anbieten.

Würden Sie aus Gewissensgründen auch bundesdeutsche Soldaten verstecken, wenn der befürchtete Bündnisfall eintreten würde?

Aber selbstverständlich. Angenommen, der Kerkermeister Özal, mit dessen Opfern wir von amnesty international ständig zu tun haben, würde Deutsche in den Krieg hineinziehen, müssen wir alles unternehmen, um auch bedrohten deutschen Kriegsdienstverweigerern zu helfen.

Sehen Sie die Gefahr, daß der Bündnisfall eintritt?

Ich kann ihn nicht ausschließen. Aber es gibt gottlob entschiedene Gegenkräfte. Ich hoffe, daß unsere Politiker dem Druck von außen standhalten und auch dem absurden Vorwurf Paroli bieten, wir von der Friedensbewegung verhielten uns antiamerikanisch. Es gibt verschiedene Amerikas — das Amerika des Botschafter Walters und das des Martin Luther King. Es gibt ein superpatriotisches Amerika und ein weltoffenes Land. Zum letzteren, zu dem sich auch die amerikanische Friedensbewegung gehört, bekennen wir uns. Der Antiamerikanismusvorwurf ist töricht; man wende sich doch besser an die Waffenhändler und nicht an die Friedensbewegung.

Interview: Erwin Single

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen