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Kein Krieg der Religionen

■ Chandra Muzaffar über moslemische Reaktionen auf den Golfkrieg DOKUMENTATION

Die überwältigende Solidarität der moslemischen Welt mit Saddam Hussein und dem Irak ist von vielen westlichen Kommentatoren aufgegriffen worden. Nach ihrer Meinung sei die massive Unterstützung für Saddam darauf zurückzuführen, daß der Krieg von den Moslems als ein Jihad, ein Kampf zwischen Moslems und Ungläubigen, wahrgenommen werde. Diese Interpretation geht jedoch am Kern des Problems vorbei. Andere Konflikte zwischen Moslems und Nichtmoslems haben keine vergleichbaren Emotionen in der moslemischen Welt ausgelöst. Hätte der Jihad tatsächlich eine solche instinktive Anziehungskraft, wie ließe es sich dann erklären, daß die Moslems fast überall nur passive Zuschauer blieben, als das mehrheitlich hinduistische Indien dreimal gegen den islamischen Staat Pakistan Krieg führte?

Im gegenwärtigen Golfkrieg ist jedoch nicht zu bestreiten, daß die Präsenz der überwiegend aus Nichtmoslems bestehenden Streikräfte- Koalition in Saudi-Arabien, dem Heiligen Land des Islam, in gewisser Weise religiöse Emotionen entfacht hat. Doch das ist nicht der wahre Grund für die Sympathie und Unterstützung, die Saddam Hussein in so großem Maße erfährt. Schließlich trafen die amerikanischen Truppen schon am 7. August 1990 in Saudi- Arabien ein. Doch zu diesem Zeitpunkt gab es unter den Moslems noch nicht das später an Bedeutung gewinnende Gefühl, daß „Ungläubige“ ihr Heiliges Land besetzten. Pro-irakische Haltungen wurden erst viel später zu einem einflußreichen Faktor. Selbst Gruppierungen, die heute dezidiert pro-irakisch sind, wie die Moslembrüder Jordaniens und die Heilspartei Algeriens, standen der Invasion kritisch gegenüber. Der Angriff wurde eindeutig verurteilt, nicht nur von moslemischen Regierungen, sondern auch von einem breiten Spektrum innerhalb der moslemischen Bevölkerungen.

Der Aggressor wird zum Opfer der Aggression

Ihre Haltung begann sich jedoch in dem Maße zu verändern, in dem sich die Moslems der Doppelmoral der US-Regierung schmerzlich bewußt wurden. Diese hatte es sehr eilig, das bewaffnete Potential von 28 Nationen zu mobilisieren, um den Irak zu zwingen, sich aus Kuwait zurückzuziehen. Und doch war die Washingtoner Regierung nicht bereit, gegen Israel wegen seiner Annexion und Besetzung palästinensischen Landes seit 1967 zu handeln. Schlimmer noch, die Vereinigten Staaten haben durch ihr Veto jeden Versuch zunichte gemacht, die über 150 UNO- Resolutionen zu dieser Frage durchzusetzen. Es ist dieses eklatante Fehlen von Gleichbehandlung, die die Moslems und Araber so verletzt haben. Es ist die unethische und unmoralische Haltung der Regierung der Vereinigten Staaten gegenüber Israel und Palästina, die im wesentlichen für die Solidarität der moslemischen Bevölkerungen mit Saddam und dem Irak verantwortlich ist.

Diese Solidarität verstärkte sich noch mit dem Beginn der Bombardierung Bagdads am 17. Januar 1991. Die intensive und ununterbrochene Bombardierung kam über die Fernsehschirme als ein brutaler und barbarischer Versuch seitens der US-geführten Koalition, den Irak zu zerstören und vom Erdboden verschwinden zu lassen. Vom ersten Tag an gab es eine Woge der Sympathie unter Arabern, Moslems und vielen anderen Bewohnern des Südens für den Irak. In ihrer Wahrnehmung kämpfte hier ein kleines 17-Millionen-Land um sein Überleben gegen den arroganten Ansturm des mächtigsten Militärarsenals der Welt. Saddams Agression trat in den Hintergrund zurück. Seine Invasion verwischte in der Erinnerung — dank der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten. Der Agressor wurde zum Objekt der Agression; derjenige, der die Invasion betrieben hatte, zum Opfer der Invasion. Die zentrale Sorge vieler Leute gilt nicht die Souveränität Kuweits, sondern dem Überleben des Irak. Dies hat auf der südlichen Halbkugel bei vielen Moslems und Nichtmoslems ein tief empfundenes Mitgefühl für die Völker des Irak und Kuweits entstehen lassen — ungeachtet ihrer Haltung gegenüber dem Regime Saddams. Nicht religiöse Gefühle per se, sondern dieses Mitgefühl, das aus der erbarmungslosen Zerstörung des Irak erwachsen ist und aus der Sehnsucht nach Gerechtigkeit in Verbindung mit Palästina, liegt an der Wurzel der arabischen und moslemischen Unterstützung für Saddam. Araber und Moslems reagieren, mit anderen Worten, auf Emotionen und Impulse, die für sich genommen ehrenwert sind.

Das Trauma der kolonialen Erfahrung

Die Intensität arabischer und moslemischer Reaktionen im Golfkrieg läßt sich aber nicht nur mit den gegenwärtigen Geschehnissen im Irak erklären, oder mit der palästinensischen Tragödie. Die schwierige, häufig antagonistische Beziehung zwischen einem wichtigen Teil der moslemischen Welt und dem herrschenden Schichten der westlichen Zivilisation ist ebenfalls ein signifikanter Faktor. Weil ein großer Teil des Erdöls der Welt — Lebensader des industrialisierten Westens — in moslemischen Ländern zu finden ist, sind viele dieser Staaten durch die mächtigen Nationen des Westens unterschiedlichen Formen der Kontrolle, des Diktats und der Bestimmung unterworfen worden. Das Streben nach Freiheit von imperialistischer Beherrschung ist daher eine der Hauptquellen der Spannung und des Konfliktes zwischen Teilen der moslemischen und der westlichen Welt.

Diese Wahrnehmung, nach der der imperialistische Westen das Streben moslemischer Nationen nach Gerechtigkeit und Würde blockiert, ist verbunden mit der traumatischen Erfahrung der Kolonisation. Ebenso wie viele andere nichtmoslemische Staaten sind die moslemischen Gesellschaften noch immer geprägt von der kolonialen Politik der Teilung und Dezimierung. So waren sowohl der Irak als auch Kuweit mit ihrem schwärenden Territorialkonflikt Resultat der Kolonialgeschichte. Ebensowenig haben die Araber den Verrat und die Doppelzüngigkeit der britischen Kolonialherren vergessen, mit der das Empire handelte, nach dem die Araber den Briten geholfen hatten, das ottomanische Reich im Jahre 1918 zu stürzen. Der Höhepunkt dieses Verrats, der zur Zerstückelung des arabischen Herzlandes führte, war das britische Versprechen an die europäischen Juden, eine zionistische Heimat in Palästina zu schaffen. Die Araber konnten den Briten nicht mehr trauen.

Wenn die bittere Erinnerung an die koloniale Täuschung und Manipulation weiter fortbesteht, dann liegt das zum Teil daran, daß die islamische Zivilisation in gewisser Weise eine Weltordnung darstellte, die der Kolonialismus zerstörte, um seine Macht durchzusetzen. Das ottomanische Reich umfaßte bis in das 18. Jahrhundert hinein Teile Europas, Nordafrikas und Asiens. Auch auf dem indischen Subkontinent gab es bis Mitte des 19. Jahrhunderts aufstrebende moslemische Dynastien. Zum Verständnis der gegenwärtigen Beziehungen des Islam mit dem Westen ist der historische Hintergrund unerläßlich. Gerade weil die Moslems die ihnen durch den Westen zugefügten Ungerechtigkeiten so stark empfinden, haben sie immer wieder Führer als Helden verehrt, die den Mumm hatten, sich dieser westlichen Zivilisation entgegenzustellen. So kommt es, daß so unterschiedliche Männer wie Kemal Atatürk, Gamal Abdul Nasser und der Ayatollah Khomeini in der moslemischen Welt verehrt und bewundert wurden. In dieser Reihe findet sich nun auch Saddam Hussein. Die Unterschiedlichkeit der politischen und ideologischen Positionen dieser Männer zeigt, daß es hier nicht um die Frage der Art des Islam geht. Worum es geht, ist der Mut, der arroganten Macht des beherrschenden Westens die Stirn zu bieten. Wenn eine Herausforderung der westlichen Dominanz so wichtig geworden ist, dann nur aufgrund dessen, was diese Dominanz der moslemischen Welt angetan hat. Deshalb sind wir überzeugt, daß es jetzt bei den herrschenden Mächten des Westens liegt, ihre Beziehung zu jenen moslemischen Gesellschaften zu überprüfen, die ihre Unabhängigkeit und Autonomie hochhalten. Darüberhinaus ist eine Überprüfung der gesamten Beziehungsstruktur zwischen dem dominanten Norden und dem dominierten Süden notwendig. Chandra Muzaffar

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