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Bagdad in der vierten KriegswocheWeißes Gold für schwarze Tage

■ Gemäß dem alten arabischen Sprichwort tragen nicht wenige irakische Frauen dieser Tage ihr goldenes Brautgeschmeide zum Händler, um die teurer gewordenen Lebensmittel bezahlen zu können. Das Leben in der Hauptstadt hat sich „normalisiert“, obwohl die Bombenangriffe weitergehen. Benzin gibt es zwar nicht mehr zu kaufen, aber die Busse fahren, und neue kleine Stadtteilmärkte sind entstanden.

Aus Bagdad Khalil Abied

Zwanzig Tage lang war Schukri verschwunden, die ausländischen Journalisten aus dem Al-Rashid-Hotel, die er vor Kriegsbeginn immer in seinem Toyota-Jeep herumkutschierte, hatten ihn schon abgeschrieben, da tauchte er wieder auf: „Irgendwann muß ich doch wieder arbeiten, um Geld zu verdienen.“ Wo er sich denn versteckt gehalten habe, wollten seine Kunden von ihm wissen. „Als ich die ersten Explosionen hörte, habe ich mich in meinen Jeep gesetzt und bin die 100 Kilometer in mein Heimatdorf Hilla gefahren. Ich dachte, sie würden Bagdad mit chemischen Waffen angreifen.

Wie Schukri dachten Tausende, ihre Stadt würde total zerstört werden, und wie er kehrten die meisten nach einer Weile wieder in ihre Häuser zurück. Mittlerweile ist das Leben in den meisten Teilen von Bagdad fast wieder „normal“ geworden.

Im Gedränge auf dem beliebten Bab-Scharqi-Markt kann man sich kaum bewegen — wie in alten Zeiten. Die Läden sind wieder alle geöffnet, die Kunden sind alle wieder da. Vor allem nach Lebensmittelkonserven, nach Kerzen und Lampen ist die Nachfrage groß. „Komm, nimm eine von meinen Kerosinlampen mit“, preist ein Verkäufer seine Ware an, „sie sind so gut und stark wie unsere Raketen. Nicht einmal die amerikanische Patriot kann ihre Flamme löschen.“ In Abu-Ahmeds Laden steht fast ein Dutzend Kunden Schlange. Hier sind Seife und Shampoos der große Renner. Warum wohl kauft das Ehepaar da vorn eine große Tüte voll davon, wo es doch kaum Wasser gibt in Bagdad? „Das ist ein schmutziger Krieg, da wollen wir wenigstens selber sauber bleiben“, erklärt der Mann, und seine Frau fügt ganz unideologisch hinzu: „Außerdem bekommen wir seit einer Woche wieder Wasser, wenn auch nur jeden Tag für zwei bis drei Stunden.“

„Der verdammte Krieg“

Der „schmutzige“, der „verdammte Krieg“. Solche Ausdrücke hört man in diesen Tagen oft. Alle haben sie gehofft, nach acht Jahren Krieg gegen den Iran wieder ein ruhiges Leben führen zu können. Und jetzt schon wieder Krieg. Ein Krieg, von dem wieder niemand weiß, wie lange er dauern wird und wieviel er zerstören wird. „Seit acht Jahren träume ich davon, mal wieder ins Ausland zu reisen“, erzählt Abu-Ali, der ein paar Häuser in der Our-Gasse vermietet und damit nicht gerade zu den Armen von Bagdad gehört. Bis 1983 war er jeden Sommer weggefahren: nach Bulgarien, Griechenland, Polen, Rumänien, auch in die DDR... Dann gab es plötzlich keine Ausreisevisa mehr. Die irakische Regierung brauchte während des Krieges ihre Devisen für andere Dinge.

Abu-Ali ist ein Freund des Westens und beschreibt auch seine Landsleute so. „Wir Iraker sind eigentlich proamerikanisch, wir lieben die Amerikaner und die anderen Westler. Für uns sind sie zum Symbol geworden wegen ihrer wirtschaftlichen Entwicklung und der Freiheiten, die sie genießen. Wir würden das im Irak gerne auch so haben. Das sowjetische System dagegen haben wir immer gehaßt, und wir waren froh, als es in Osteuropa zusammengebrochen ist.“ Für Abu-Ali machen die USA „einen großen Fehler“ mit diesem Krieg, weil sie damit „Haß in unsere Herzen pflanzen“. Abu-Ali meint, für die USA wäre es doch besser, alle Probleme der Region zusammen zu lösen, „insbesondere das Palästinenserproblem. Wir respektieren eure Interessen, aber ihr müßt unsere Interessen auch respektieren. Wer hat denn die französische Wirtschaft gerettet, wenn nicht wir? Und haben wir nicht gute ökonomische Beziehungen mit den USA und Europa?“

Für viele Iraker hat dieser Krieg auch Träume und Hoffnungen zerstört, gerade auch Träume von Demokratie im eigenen Land. In Diskussionen mit Intellektuellen stößt man hier immer wieder auf dieses Argument: „Im Krieg können wir nicht mehr Demokratie fordern oder dafür kämpfen. Sobald es um die ,Landesverteidigung‘ geht, wird hier jede Kritik an der Regierung zum Verrat.“ Zum Beispiel Attif, 28 Jahre alt: Er hat in Bagdad an der Universität studiert und leistet jetzt in Basra seinen Militärdienst ab. „Wenn 28 Länder, darunter alle Großmächte, gegen den Irak stehen, dann ist es unsere Aufgabe, das Vaterland zu verteidigen.“ Attif liest gerne, darunter „viele Bücher über die USA und Europa“. Jetzt sei er sehr enttäuscht von diesen Ländern, die er „für demokratisch gehalten“ habe, denn: „Sie bringen Zivilisten um, genauso wie Verbrecher.“

Ein arabischer Diplomat, der in Bagdad geblieben ist, hält die USA und die Europäer für „dumm“. Er meint, die Bombardierungen verfolgten den Zweck, Wasser, Strom und Verkehrsmittel lahmzulegen, um dadurch die Bevölkerung „gegen die Regierung aufzuhetzen“. Das aber werde nicht gelingen: „Jeder Iraker, der jetzt im Dunkeln leben muß oder kein Benzin für sein Auto mehr bekommt, fühlt sich als Angriffsziel der Amerikaner, und er wird selbstverständlich seine Armee und die politische Führung unterstützen, weil die ihn schützen und verteidigen.“

Bis zum 4. Februar bekam jedes Auto alle 14 Tage 30 Liter Benzin zugeteilt. Dann gab das Ölministerium die Anweisung, den Verkauf von Ölprodukten vorerst zu stoppen, wegen „technischer Schäden“, wie es in der offiziellen Erklärung hieß. Nicht einmal mehr auf dem Schwarzmarkt ist Benzin zu bekommen. Allerdings, an die staatlichen Busse wird weiter Benzin ausgegeben, sie sind die einzige Möglichkeit, noch in andere Städte zu gelangen. Die zunehmende Schwierigkeit, sich von einem Stadtteil Bagdads in den anderen zu bewegen, hat dazu geführt, daß überall improvisierte Märkte aus dem Boden geschossen sind, wo man die wichtigsten Dinge finden kann.

Einer dieser Märkte liegt in Karadah; Dutzende von fliegenden Händlern stehen dort mit Gemüse, Fleisch, Apfelsinen. Aber auch ganz unerwartete Produkte tauchen dort auf, zum Beispiel Büchsen mit der Aufschrift „Paté de Foie Alsacienne“. Woher der Verkäufer die elsässische Leberpastete hat? „Von Monsieur Mitterand“, lächelt der Verkäufer. Offenbar fällt auch niemandem auf, daß viele der Fleischkonserven Schweinefleisch enthalten. Aus Kuwait, dem Iran oder der Türkei können sie also nicht kommen. Des Rätsels Lösung deuten die libanesischen Zigaretten an, die am Nachbarstand feilgeboten werden. Sie können nur über Syrien ins Land gelangt sein. Der Schmuggel zwischen Libanon und Syrien blüht, das ist bekannt, und der Libanon ist schließlich auch voll mit westlichen Produkten... Daher das Schweinefleisch.

Nichtrationierte Lebensmittel sind bislang noch zu erträglichen Preisen zu bekommen, zwei Dinar für ein Kilo Tomaten oder Apfelsinen, 1,50 für das Kilo Kartoffeln sind zwar wesentlich mehr als vor dem Krieg, aber doch für die meisten noch erschwinglich. Für diese Güter funktioniert das Verteilungssystem vom Land in die Stadt. Die Grundnahrungsmittel, mit denen täglich gekocht und gebacken wird, sind dagegen rationiert. Zucker, Reis, Mehl und Tee gibt es weiterhin billig, aber die Monatsrationen sind halbiert worden: Nur noch fünf Kilo Mehl und je ein Kilo Reis und Zucker werden pro Person abgegeben, alles andere muß auf dem leergefegten Schwarzmarkt erstanden werden, wo das Kilo Zucker, Reis oder Mehl mittlerweile zwischen sieben und acht Dinare kostet (das 20- bis 30fache des subventionierten Preises).

Keiner will die neuen Geldscheine

Auch woanders wird wieder gearbeitet. Beamte und staatliche Angestellte beziehen nicht nur weiter ihre Gehälter, sie sind zum Ausgleich der Inflation sogar verdoppelt worden, und so sieht man morgens im Bus viele Menschen auf dem Weg in „ihre“ Behörde. Private Firmen und Fabriken sind da etwas zögerlicher, aber einige haben auch schon wieder den Betrieb aufgenommen. Allerdings wäre die Regierung längst zahlungsunfähig, hätte sie nicht die Notenpresse in Gang gesetzt und jede Menge neuer 25-Dinar-Scheine gedruckt. Sie haben — auch weil sie nicht wie „richtige“ Scheine aussehen, sondern eher wie Monopoli- Geld — eine Art Kampf zwischen Bevölkerung und Behörden in Gang gesetzt: vor allem im Nordirak, wo viel mit dem Iran gehandelt wird, will kaum jemand die neuen Banknoten akzeptieren, weil die iranischen Händler ihrer Gültigkeit nicht trauen.

Wohl der irakischen Frau, die statt dessen ein wenig Gold zu Hause hat. Nach alter arabischer Tradition müssen angehende Ehemänner ihre Braut mit Gold „schmücken“. Und ein altes arabisches Sprichwort sagt: „Versteck dein weißes Geld für deine schwarzen Tage. Das „weiße Geld“ wird jetzt zum Überleben gebraucht. Im Stadtteil Adamya sind alle Goldgeschäfte geöffnet. Auf die Frage: „Wie werden Sie denn das Gold wieder los?“ antwortet einer der Händler lächelnd: „Allah ist großzügig.“

In Bagdad hat man sich an die Kriegssituation angepaßt, doch zugleich wächst auch die Sorge um die Zukunft. Jede Nacht, jeder Tag, den die Bombardierungen andauern, vergrößert die Zahl der zerstörten Gebäude, Brücken, Fabriken oder Bahnstationen. „Wir werden Jahrzehnte brauchen, um das Land wieder aufzubauen“, sagt ein Mitfahrer im Bus, der an zerstörten Gebäuden und Plätzen vorbeifährt. Aber wer hat diesen verrückten Krieg verursacht? Die Frage erregt seinen Unwillen. „Das ist jetzt unwichtig. Jetzt haben wir keinen anderen Weg, keine Wahl, als unser Land zu verteidigen.“

Unser Sonderkorrespondent ist Palästinenser und kann sich daher im Irak ungehinderter als westliche Journalisten bewegen. Genauso wie die Arbeit aller Journalisten ist auch seine Informationsbeschaffung durch die Militärzensur behindert, seine Berichte jedoch bekommt (anders als wir es einmal gemeldet haben) kein Zensor zu sehen.

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