piwik no script img

Videokünstler als Nachrichtenredakteure

■ „Guten Abend Deutschland“, Montag, 12.2. Sat.1

Das Schicksal, für die Medien seit Wochen Synonym für jenen unberechenbaren Despoten aus Bagdad, scheint es gut zu meinen mit der neuen Hauptnachrichtensendung von Sat.1. Dieter Kronzucker, zum höchstdotierten Nachrichtenverkäufer der Nation aufgestiegen, ließ mit der professionellen Mischung aus Betroffenheit und Sensationslust nach einer kurzen Begrüßung verlautbaren, daß „gerade Israel wieder ein Angriff überrascht“ habe. Doch wer nun erwartete, dieser brandaktuellen Meldung folge sogleich der entsprechende Bericht, sah sich unversehens auf den Boden des Privatfernsehens zurückgeholt. Statt des Duells Patriot gegen Scud am nächtlichen Himmel über Tel Aviv gab es erst einmal Verbraucherinformation über Schokoriegel und Hefeweißbier. Es folgten Countdown-Uhr und eine (wenig markante) Titelmusik, die klar machten, daß das eben nur der Appetizer war. Kronzucker schlendert locker an sein Stehpult, murmelt noch einmal eine Begrüßung, um dann im Tonfall eines Supermarktpropagandisten zu verkünden: „Der Nachrichtentag und unsere Redaktion bieten Ihnen heute: Golfkrieg, Genscher vor seiner Nahostreise, Karneval.“ Und dann noch einmal (inzwischen sind gut fünf Minuten vergangen) brennende Aktualität suggerierend: „Soeben erfuhren wir, daß Israel...“ Aus dem anschließenden Telefonat mit dem zuständigen Korrespondenten ist zu entnehmen, daß „soeben“ vor ungefähr einer Stunde stattgefunden hat. Und so verpufft die mühsam erarbeitete Aura des Sensationellen unversehens zur nüchternen Erkenntnis, daß es wohl vorerst ein Privileg amerikanischer Nachrichtensender bleibt, spektakuläre Kriegshandlungen zur besten Sendezeit stattfinden zu lassen. (Vielleicht, wenn die Bundeswehr denn doch irgenwann...!?)

Und auch die weiteren Berichte waren wenig dazu angetan, den hauseigenen Vorläufer Blick — schon der Name Klang, als müsse er einem Ex- DDR-Propagandakombinat entsprungen sein — vergessen zu machen. Statt auf sorgfältige Information und Analyse setzte man in erster Linie auf allerlei visuellen Schnickschnack. Mit einer Art elektroakustischem Peitschenknall eingeleitete und von dezenter Musik untermalte Nachrichtenblöcke zu In- und Ausland und eine riesige Wand von Studiomonitoren, auf denen rund um die jeweiligen Interviewpartner ständig ein Signet blinkte, um uns zu versichern, daß es sich hier um Live-Telefonate handelte. Soweit die erste Folge erkennen ließ, hat Sat.1 ein Magazin kreiert, das zwischen hausbackenem Seriösitätsgebaren und hemdsärmeligen News-Entertainment nach amerikanischem Vorbild auf halber Strecke steckengeblieben ist. Dieter Kronzucker nennt es treudeutsch „Nachrichten-Schau“, parliert im gedeckten Zweireiher, wobei ihm irgend jemand geraten haben muß, zum Zeichen der Lockerheit den obersten Kragenknopf offen zu lassen. Reinhard Lüke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen