: Die eigene, kleine Welt einer Stimme
■ Greetje Bijma sang Unerhörtes zu biederer Begleit-Band und gab ein Interview
Die Indianergesänge vermischten sich mit den Sounds eines Videogames, von esoterischen Obertönen wechselte sie ohne viel Luftholen zum Kleinmädchengekiekse und ihr „gesungenes“ Posaunensolo war viel spannender als die Töne, die Saxophonist Allan Laurillard seinem Instrument entlockte. Auch sonst gab die Diskrepanz zwischen der übermütig, spielerischen Greetje Bijma, bei der jeder Ton neu und überraschend klang, und ihrer konventionell bis bieder spielenden Begleitband dem Konzert einen merkwürdigen Grundton. Man fragte sich, ob sie in einer ihr ebenbürtigen Gruppe nicht noch viel besser klingen würde. Aber nach ihrer Aussage scheint sie gerade dieser Kontrast zu beflügeln, und die leeren und beliebigen Kompositionen von Alan Laurillard geben ihr genug Freiraum für ihre musikalischen Reisen, in denen sie spielerisch alle Konventionen überspringt: “Alan und ich sind gute Partner. Ich lasse mich von allem anregen, von Büchern, Filmen und Reisen, und wie kleine Kinder sich in ihrer Phantasie ihre eigene kleine Welt schaffen, entwickle ich eigene Atmosphären und Töne. Alan gibt dem dann eine feste Form, die mir aber wieder genug Freiheit läßt, um mit meinen kleinen Geschichten aus Tönen weiterzuspielen.“
Warum singt sie dann, bis auf einzelne Schlüsselworte, keine Texte? “Meine Stimme soll der rote Faden sein. Ich bin interessiert an dem, was hinter den Tönen liegt, nicht an den Worten, sondern daran, wie sie klingen, und welche Gefühle mit der Stimme ausgedrückt werden. Auch der Zuhörer soll frei sein, sich etwas eigenes bei meiner Musik auszumalen. Bei einem Stück erzählte mir ein Zuhörer, er wäre an einen wohlriechenden, warmen Urwald voller Affen erinnert worden, und ein anderer meinte, es beschreibe eine große Stadt mit Straßengeräuschen. Das fand ich sehr schön!“ Unkonventionell singt Greetje Bijma, und spielerisch, wie nur eine singen kann, die es sich selber beigebracht hat. “Viele von meinen Kolleginnen, die eine Ausbildung haben, egal ob klassisch oder für Jazzgesang, sagen, daß sie Angst hätten, so wie ich mit meiner Stimme umzugehen. Nach ihren Regeln mache ich meine Stimme kaputt, aber ich bin nie in dieses Korsett gezwängt worden und weil diese Töne ganz natürlich aus mir herauskommen, ich also nichts erzwinge, singe ich seit über zehn Jahren so extrem und weiß, daß es mir nicht schadet.“
Vorbilder und starke Einflüsse? “Heute hört man doch immer und überall Musik, im Restaurant, im Radio, und ich verarbeite all diese Einflüße, oft ohne daß ich
Greetje Bijma, Sängerin
selber merke, woher ein Sound oder eine Idee kommt. Es wäre albern, dies als moderne Sängerin abzustreiten. Wichtig ist, daß diese Töne etwas in meinem Herzen bewegen. Ich bewundere Sängerinnen, die nicht unbedingt wunderschön, aber sehr leidenschaftlich gesungen haben, wie etwa die Piaf oder die Callas.“ Das kann man hören und sehen. Wenn Greetje Bijma auf der Bühne steht, hat man das Gefühl, sie hält mit nichts zurück. “Am Ende von jedem Konzert habe ich das Gefühl, mich entblößt zu haben. Jedesmal bin ich dann völlig ausgelaugt und leer. Ich brauche meine Zeit, um mich dann wiederzufinden und trete deshalb nur 5
oder 6 Mal im Monat auf.“
In Bremen schloß Greetje Bijma ihren zweiten Set mit der Komposition „Haden“, einem beunruhigenden Klangbild in die Höhle der Diktaturen und Kriege. “Als ich dieses Stück in Hamburg gesungen habe, sind mir die Tränen gekommen. Es ist heute so aktuell und geladen mit Bedeutung, daß ich mich beim Singen immer kleiner und ängstlicher fühlte. Da war plötzlich die Realität mit im Konzertsaal. Am Schluß konnte ich nichts sagen, und auch das Publikum applaudierte nicht. Wir fühlten alle, daß da etwas passiert war, das über die normale Konzerterfahrung hinausging.“ Willy Taub
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