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Primakows doppelte Mission

Reise von Gorbatschows Emissär hat außen- und innenpolitische Funktion  ■ Aus Moskau K. H. Donath

Schon vor der dritten Mission des Nahostexperten und Sonderbeauftragten Gorbatschows, Jewegenij Primakow, nach Bagdad äußerte sich der Sprecher des sowjetischen Außenministeriums, Witalij Ignatenko, vorsichtig: „Ich möchte überhaupt keine Erwartungen wecken.“

Die Sowjetunion scheint an den Rand gedrängt. Weder die irakische Seite legt Wert auf ihre Vermittlungsbemühungen noch zeigt sich der Westen sonderlich interessiert. Keiner ist auf sie angewiesen. Eine Schmach für eine ehemalige Supermacht und eine Schande in den Augen ihrer Militärs.

Natürlich überhört man im Westen nicht das wütende Gebell einiger Militärs, die auch außenpolitisch eine Kurskorrektur verlangen. Ihnen fällt es schwer, im Herzensbruder Saddam auf einmal einen Gegner zu sehen und zuzuschauen, wie der ehemalige Verbündete mit sowjetischem Kriegsmaterial auf eine Niederlage hinsteuert. Viktor Alksnis, einer der Falken unter den Militärs, sprach sich denn auch offen für eine „proarabische Politik“ aus, was er mit dem hohen Anteil der muselmanischen Bevölkerung im asiatischen Teil der UdSSR begründete. Eine antiarabische Politik wäre das Ende der Sowjetunion. Und um den Zusammenhalt der Union geht es allen Militärs. Denn bricht sie auseinander, steht auch das Schicksal der Armee auf dem Spiel. Iwan Korolijow, Professor an der Militärakademie des Verteidigungsministeriums, warf dem Außenministerium vor, den 1972 mit dem Irak geschlossenen Vertrag zu brechen, der beide Seiten dazu verpflichte, gegen „jegliche Form des Imperialismus und Zionismus“ zu kämpfen. Der Haß gegen die Erfüllungsgehilfen aus dem ehemaligen Schewardnadse-Ministerium ist groß. Erst Osteuropa, dann Deutschland, und jetzt ist es den Amerikanern sogar behilflich, einen Brückenkopf am Golf einzurichten.

Die Kritik am Golfkrieg findet hauptsächlich in den Gazetten der Partei statt, flankiert von Äußerungen der Regierung, die vor einer Eskalation und einem Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung warnt. Anzeichen, die Sowjetunion könnnte ihre Haltung ändern, gibt es hingegen nicht. Gorbatschow betreibt Schadensbegrenzung. Auf westliche Hilfe bleibt er auf Gedeih und Verderb angewiesen; Experimente kann er sich daher nicht erlauben. Innenpolitisch versucht er andererseits, durch den sachte verschobenen Blickwinkel die Soldateska bei der Stange zu halten. Folglich ist Primakow in doppelter Mission unterwegs: dem Westen Kontinuität zu signalisieren und den Generälen zu beweisen, daß man den Verbündeten nicht ins offene Messer laufen läßt. Vielleicht läßt sich dadurch in der übrigen arabischen Welt, so könnte man im Kreml spekulieren, auch noch ein Bonus für die Nachkriegsordnung herausschlagen. Noch eine Nuance ist beachtenswert: Primakow gehört nicht zu den Westlern, die bisher noch die Mannschaft des Außenministeriums stellen. Er plädiert für eine Anlehnung an die Dritte Welt und eine Vermittlungsrolle der UdSSR als europäisch-asiatischer Staat zwischen Nord und Süd.

Mit Sicherheit wird der Golfkrieg die Rote Armee langfristig nicht verschonen. Die technische Dimension des Krieges läßt schon jetzt die jüngeren Militärs an der Schlagfähigkeit der eigenen Armee zweifeln. Jeder Tag liefert den Beweis, mit mittelmäßiger Technik und mangelhaftem Kriegsgerät ausgestattet zu sein. Ihr Plädoyer für eine Halbierung der Landtruppen und eine technologische Umrüstung gewinnt so an Plausibilität. Die Interessenidentität zwischen Industrie und Militär steht auf dem Spiel, und ein Konflikt zwischen alter Generalsriege und jungem Offizierskorps steht ins Haus. Anders als es vor kurzem oft schien, steht das Militär nicht in einer geschlossenen Phalanx noch hat es eine eigene politische Kontur gewinnen können.

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