Gespaltene Emotionen, ungeteilte Loyalität

■ Zur „Rally for Peace in the Middle East“ in Michigan kamen viele Exilpalästinenser/ „Amerikanisches und arabisches Blut ist mehr wert als Öl“

Greenfield, Michigan (taz) — Traurig und etwas verloren steht Odeh im Foyer des Greenfield Community College. Sein Freund Ismail, mit dem er nach dieser „Rally for Peace in the Middle East“ wieder zurück nach Toledo fahren will, ist drüben mit den Männern der palästinensischen Exilgemeinde noch in eine heftige Diskussion verwickelt. Zwischen den gutturalen arabischen Lauten schallt immer wieder der Name Arafats zu uns herüber. Etwas abseits debattieren ein paar vorschriftsmäßig in Palästinensertücher gehüllte Junglinke aus der örtlichen Splittergruppe das Schicksal der PLO in englischer Sprache.

Odeh ist zwanzig und studiert seit zweieinhalb Jahren an der Universität von Michigan Betriebswirtschaft. Seine Familie, die ursprünglich von der Westbank kommt, ist irgendwo in Kuwait. So nimmt er jedenfalls an, denn seit dem 2. August hat er nichts mehr von ihnen gehört. War er überrascht über die Bereitschaft der amerikanischen Öffentlichkeit, den Krieg zur Befreiung Kuwaits zu unterstützen?

„Kaum“, sagt Odeh. Nach dem, was die Amerikaner in ihren Medien über den Mittleren Osten zu hören bekämen, so weiß er jetzt aus eigener Erfahrung, „können die doch gar nicht anders“. „Gehirnwäsche“, meint er nur achselzuckend. Odeh ist nicht einmal wütend auf sein Gastgeberland Amerika. Er ist eher resigniert über den Lauf der Ereignisse, die ihn und seine Familie in verschiedenen Teilen dieser Welt zwischen die Fronten gebracht haben.

Doch eigentlich hätte sich seine gedrückte Stimmung an diesem Abend etwas gebessert haben müssen. Rund 500 Palästinenser, viel mehr als erwartet, waren aus ganz Michigan zu dieser Antikriegsveranstaltung ins Greenfield College gekommen. „Amerikanisches und arabisches Blut ist mehr wert als Öl“, stand groß hinter dem Rednerpult angeschlagen. Vom Imam des Arabisch Islamischen Institutes in Dearborn über den schwarzen Kongreßabgeordneten für Detroit bis hin zum katholischen Bischof der Erzdiözese Michigan hatten sich alle Redner für einen sofortigen Waffenstillstand ausgesprochen. Sogar das Fernsehen war dagewesen.

Doch einer hatte die versammelte palästinensische Gemeinde an diesem Abend mit seiner fesselnden Rhetorik besonders bewegt: Clovis Maksoud, der ehemalige Botschafter der Arabischen Liga bei der UNO. Das palästinensische Volk, so hatte dieser angehoben, könne vielleicht noch eine weitere Niederlage, nicht aber ein bedingungsloses Aufgeben verkraften.

Dann sprach Maksoud vom Libanon als dem „Mikrokosmos des arabischen Zustandes“, von der „Exklusivität des Zionismus und der tragischen Rolle amerikanischer Außenpolitik in der Region“. Aber auch vom Versagen der arabischen Staaten, ihre „gemeinsame Bestimmung“ zu erkennen und von deren Unvermögen, einem palästinensischen Staat endlich zur Geburt zu verhelfen.

Und dennoch, Maksouds Glaube an die „panarabische Idee“ schien unter der arabischen Realität, dieser historischen Tragödie auf Raten, nicht gelitten zu haben. „Das Linkage, die Verbindung von Kuwait- und Palästinenserfrage“, so Maksoud, „existiert im arabischen Bewußtsein.“ Genau, was die Exilpalästinenser aus Michigan hören wollten: Balsam auf ihre Wunden und Hoffnung für ihr Volk ohne Staat.

Sogar für die politische Gratwanderung der PLO hatte Maksoud einen eindrucksvollen Satz bereit, eine Argumentationshilfe gegen die täglichen Beschuldigungen im nichtpalästinensischen Bekanntenkreis, auf der Straße oder gar von den Kunden im eigenen Lebensmittelladen: „Wir sind gegen die Wiederherstellung der Legitimität Kuwaits auf Kosten einer Zerstörung des Iraks.“ Dies paßte so gut zu den Fernsehbildern aus Bagdad.

Ja, das Leben hier in den Vereinigten Staaten sei im Augenblick nicht leicht, weiß auch Ismail zu berichten, der sich mittlerweile zu uns gesellt hat. Ismail ist amerikanischer Staatsbürger, seine neunjährige Tochter ist hier geboren. „Unsere Emotionen sind gespalten“, sagt er, „aber unsere Loyalität für die arabische Sache ist ungeteilt.“

Dennoch, trotz der Anfeindungen durch seine Mitbürger, trotz der Rolle der USA in diesem „nun wirklich nicht gerechten Krieg“, lebt Ismail in seinem gutgehenden Lebensmittelgeschäft seinen amerikanischen Traum unbeirrt weiter. In die Westbank will er jedenfalls nicht mehr zurück. Und ob er in einen unabhängigen palästinensischen Staat heimkehren würde, selbst das hält er für fraglich. „Komm“, sagt er zu Obeh, „laß uns nach Hause fahren.“ Zu Hause ist in Toledo, eine Autostunde südlich von Greenfield College. Rolf Paasch