Thüringen nach 100 Tagen nüchtern

Nur Ministerpräsident Duchac verbreitet Optimismus nach seinen ersten hundert Amtstagen  ■ Aus Erfurt Wilfried Glöde

Der Optimismus des Neubeginns im Lande Thüringen ist nach hundert Tagen der ersten eigenen Regierung weitgehender Ernüchterung gewichen. Die Hoffnungen auf einen raschen und leichten Aufschwung haben sich nicht erfüllt. Die Kassen sind fast überall leer. Den Kommunen wie dem Land fehlt es an dem Geld für die von Baubetrieben und anderen Unternehmen oder Handwerkern erhofften Aufträge. Dadurch gehen aber auch die erwarteten Steuern nicht ein. Dieser teuflische Kreislauf vollzieht sich in jedem Ort.

Im vielgerühmten grünen Herzen Deutschlands ist der Winter eingezogen und hat nicht einmal die für diese Jahreszeit gewohnten Urlauber und Touristen ins Land gebracht. Ferienheime warten ebenso wie die Betriebe auf ihre „Abwicklung“ durch die Treuhand. Da bedarf es schon des Optimismus eines Josef Duchac als Regierungschef, um aus den wenigen Hoffnungszeichen wie dem Bau des Opelwerkes oder der Eisenacher Betriebe von Bosch und BMW die Zukunft des Landes abzulesen.

Die Zahl der Handwerksbetriebe im Erfurter Raum ist innerhalb von knapp zwei Jahren von 7.000 auf 9.500 gestiegen. Aber die Kraft der mittelständischen Betriebe reicht keineswegs aus, den Verlust der Arbeitsplätze in der Großindustrie auch nur annähernd wettzumachen. Nur ein Viertel der 1972 enteigneten Privatbetriebe ist bisher reprivatisiert. Der Mittelstand spielt als Arbeitgeber bisher nur eine geringe Rolle.

Erschwert wird der wirtschaftliche Aufschwung auch durch den zaghaften Neubeginn der Landesverwaltung. Noch hat sich keines der neuen Ministerien völlig etabliert, fehlen die Gesetze und Verordnungen, die für eine geordnete Verwaltung unerläßlich sind. Auch gab es bei dem Neuaufbau mancherlei Mißverständnisse zwischen den Thüringern und ihren Helfern und Beratern aus Hessen, Rheinland-Pfalz und Bayern, die manchmal allzusehr von der gewohnten Perfektion bundesdeutscher Verwaltungsverhältnisse ausgingen. Die Thüringer setzten dagegen auf ihre eigene Erfahrung und Improvisationskunst.

Die Vorzüge Thüringens — die Vielfalt seiner wirtschaftlichen, kommunalen und kulturellen Strukturen und seine zentrale Lage im Mittelpunkt Deutschlands — werden nun erst Schritt um Schritt genutzt werden können.

Gera ruft laut seine Pleite aus

„Spektakuläre Maßnahmen“ schließt der Geraer Magistrat nicht aus, falls ein gemeinsamer Vorstoß von Oberbürgermeister Michael Galley und seinen Thüringer Amtskollegen bei der Bundes- und der Landesregierung keine Früchte trägt. Im diesjährigen Stadthaushalt zeichnet sich ein Defizit von knapp 183 Millionen Mark ab. Dieses „Loch“ im Stadtsäckel ergebe sich unter anderem durch finanzielle Vorleistungen der Stadt zugunsten des Landes Thüringen, so das Gehalt der Lehrer als dem „größten Brocken“, Zuschüsse für geschützte Werkstätten, Subventionen für Kindereinrichtungen und Nahverkehr sowie die Eingliederung von Aussiedlern.

Den Tagesthemen vom Donnerstag hatten die Geraer schon eine ihrer „spektakulären“ Nachrichten gesteckt: Die Schüler, so verbreitete Hanns-Joachim Friedrichs im vollen Ernst, hätten verlängerte Winterferien bekommen. Begründung des Magistrats: Man könne die Lehrer nicht bezahlen. adn