: Alttestamentarische Position verlassen
■ Andreas Karras aus Halle/Saale wendet sich gegen den Mythos, politisch richtige Entscheidungen könnten das Leid der Welt mindern
(...) Wolfs Argumentation, vor allem in Zusammenhang mit seiner Biographie, taugt durchaus für eine Rechtfertigung, diesen Krieg zu befürworten. Mit dieser Argumentation hat er aber die absolute Position verlassen, die Position eines Propheten im alttestamentarischen Sinne, die er während seiner DDR-Zeit und danach einnahm. Seine Stimme ist nun, in der Kriegsfrage, mit denen der vielen in dem ganz großen Chor verschmolzen, die aus ökonomischem und machtpolitischem Kalkül, aber eben auch aus Solidarität mit Israel, diesen Krieg befürworten. Bestenfalls haben aber die „ChorsängerInnen“ eine knappe Mehrheit, die aufgrund ähnlicher Überlegungen wie Wolfs diesen Krieg gerechtfertigt sehen. Aber auch dies scheint einen Zweifel wert. Um so mehr, als der andere Teil dieses „Chores“ über jeden frohlockt, der ihre Entscheidung ebenfalls getroffen hat, obwohl er eigentlich nicht, der Stimmlage nach, zu ihnen gehört.
Worum es mir geht, ist nicht Wolfs Entscheidung zu desavouieren, sondern den Mythos zu entmythologisieren, als könnten offensichtlich politisch richtige Entscheidungen das Leid der Welt mindern. Die logisch richtige Entscheidung für diesen Krieg birgt im Keim, mit Sicherheit bereits jetzt, mindestens Rüstungspläne, deren Umsetzung Unsummen verschlingt, die sich dadurch katastrophal für die Ärmsten dieser Welt auswirken werden, und um so leichter und schneller von den Parlamenten verabschiedet werden als die Stimmen derer sich mehren, die jetzt diesem Krieg zustimmen. So oder so, nicht einmal die Breite „der schleimigen Blutspur“ wird sich kalkulieren lassen!
Wenn Hegel in seiner unbarmherzigen Geschichtsphilosophie recht gegeben werden kann (vielleicht sogar muß?), dann deshalb, weil bei ihm die Geschichte auf ihr Ziel hinter dem Rücken ihrer Träger zugeht, daß also Entscheidungen, in der Gegenwart so oder so gefällt, keinen direkten Einfluß auf den Verlauf der Geschichte haben müssen. Schon das alte Testament kennt eine solche Geschichtsauffassung.
Wird das Gesagte akzeptiert, dann dürfen diejenigen, die sich zur Solidarität mit Israel bekennen, gleichzeitig aber vehement gegen diesen Krieg aussprechen, weder als schizophren noch als die Kompliziertheit der Situation nicht durchschauend in dem Sinne denunziert werden, daß sie die Zahl der möglichen Opfer, die diese oder jene Entscheidung fordern würde, nicht richtig errechnet haben. Vielmehr verkörpern sie diejenigen, die die unlogische und unvernünftige Entscheidung gegen diesen Krieg und für einen bedingungslosen Waffenstillstand getroffen haben, um sich dadurch der vernünftigen aber deshalb repressiven und zynischen Rechnung über die Zahl der möglichen Opfer verweigern.
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