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Das Eigene der Litanei

■ Das Ton-Dia-Musik-Spektakel »Hypertext Performances« im Babylon-Mitte

Schon seit einiger Zeit hat das Wort »Megastädte« in zweitklassigen Reisebeschreibungen nicht mehr ausgereicht, um allein auf die Größe der Stadt zu verweisen. »Hyperstädte« mußten her. Seit der Uraufführung von Arnold Dreyblatts Ton-Dia-Musik-Spektakel am Mittwoch abend im Rahmen der Inventionen werden auch »Hypertext Performances« nichts Neues mehr sein.

Der Komponist und Medienkünstler Arnold Dreyblatt fand in einem Antiquariat die 1933er Ausgabe von Who is Who in Central & East Europe. Ungefähr 10.000 Biografien von Personen des öffentlichen Lebens von 1933 in Mittel- und Osteuropa und des Baltikums sind in diesem Buch aufgeführt. Arnold Dreyblatt hat 771 der Biografien herausgenommen und nach bestimmten Schlagworten mit Hilfe eines »Hypertext Computerprogramms« aufgeschlüsselt. Das Computerprogramm kann also bestimmte Kategorien bestimmten Personen zuordnen und erlaubt so ein weitverzweigtes Netz, in dem die Identität der einzelnen Person dem Zufallsgenerator des Computers untersteht. Der Computer stellt die neuen Zusammenhänge her. Heraus kommt eine Aufzählung von Namen, die geboren sind in, die die Söhne oder Töchter waren von, die Mitglied oder Vorstände im Verein so und so oder so und so waren, die studiert haben bei, die das und das waren dann und dann, die in New York oder Prag oder Buenos Aires oder Wilna oder Wien oder Tschenstochau das und das gemacht haben, die dem und dem sich nicht widersetzten dann und dann, die das erste oder letzte Interview gemacht haben mit dem und dem, die Konterrevolutionäre waren oder Bankiers, die das Meer allein überquerten, die die Postkarte erfanden, die undsoweiter.

Zwei Stunden lang wurden diese Daten im Babylon-Mitte aufgesagt, gesungen, mit Großbilddiaprojektionen nach dem Hypertext-Computerprogrammprinzip ausgewählt und zusammengestellt, illustriert und mit Livemusik verstärkt und abgemischt begleitet. Die ganze Aufführung ist durch die spezifische Qualität der Diaprojektionen, der endlosen projizierten Namensreihen und biografischen Assoziationsketten, den ständig aufgesagten Hypertext-Litaneien von einer ausgeprägten visuellen und assziativen Stakkatostruktur. Ein Name von rechts eingeblendet, von links überblendet, eine Reihe von Geburtstagen und Städten, vermischte Zuordnungen nach bestimmten -ismen aus der Politik oder der Kunst, auch -opien, -logien und -turen werden in beliebiger Abfolge auf die Leinwand projiziert. Der Wiederholungsaspekt des Hypertext-Inhalts setzt sich in der Struktur der Musik fort. Die ständig vielversprechende Rhythmik hinterläßt nur den Eindruck einer sich ewig wiederholenden Reihe von ungleichen Intervallen (»bei nicht gerade wohltemperierter Stimmung«) und gleichmäßig schriller Lautstärke. Das ganze Spektakel lebt von der Idee und es lebt von der Stimme und dem gesanglichen Einfallsreichtum der Sängerin Shelly Hirsch. Die Passagen, die von ihr gesungen werden, gehen über das Kommen und Gehen der projizierten Namen, der projizierten Orte, Daten, Bezeichnungen, Kategorien in immer der gleichen Schrift hinaus, gehen über die gleichmäßig blecherne Musik, gehen über den ewig sich wiederholenden Rhythmus des Bilderwechsels auf der Großleinwand hinweg. Sie gibt halbe Sätze lang den aufgezählten Namen das Flair des Eigenen, das Flair des Ungewöhnlichen, das Flair des Angenehmen oder Unangenehmen, obwohl das Orchester immer wieder versucht, sie in seinen Zinnsoldatenmarschrhythmus hineinzuziehen.

Wenn mit der Hypertext Performance Identität in Frage gestellt werden sollte, dann hätte die Veranstaltung nicht zwei Stunden dauern sollen, sondern 24 und die Zuschauer hätten nicht im Dunkeln sitzen müssen. Sympathisch war, daß es ohnehin ein ständiges Kommen und Gehen der Zuschauer gegeben hat. Ich bin etlichen über die Füße gestolpert und etliche auch mir. Waltraud Schwab

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