: Imevision kaputtgeschossen
Privatfernsehmonopol in Mexiko ■ Von Jo Trappel
Krieg im Golf — die Fernsehkanäle können ihr Glück kaum fassen. Feuertaufe auch für den mexikanischen CNN-Verschnit ECO. 24 Stunden Nachrichten, so dünn und zensiert sie auch sind. Dazu noch drei weitere Fernsehkanäle: einer für die Kinder — die Trickfilme ähneln erstaunlich den Kriegsbildern von CNN und ECO; einer für die unnachahmlichen lateinamerikanischen Seifenopern, die „Telenovelas“; einer für die ganze Familie — und das alles aus einem Haus. Mexiko ist dem endgültigen Bilderparadies bedenklich nahe.
Ihren Ausgangspunkt findet die bunte Flimmerwelt im Hauptsitz der Firma Televisa in der Avenida Chapultepec im Herzen der Stadt Mexiko. Der monströse Sendemast durchstößt scheinbar den gelblich- braunen Smogpfropfen, der Tag für Tag den Bewohnern der Stadt Mexiko buchstäblich den Atem nimmt.
Televisa ist einer der kometenhaften Aufsteiger, denen der amtierende Präsident Carlos Salinas de Gortari mit seinem Privatisierungsprogramm kraftvolles Durchstarten ermöglichte. Sofort erfaßte eine Goldgräbermentalität die Chefetagen der mexikanischen Unternehmen, und für Televisa brachen rosige Zeiten an. Viel unternehmerischer Instinkt war nicht nötig, um zu allererst den einzigen Konkurrenten ins Visier zu nehmen. Der politische Gegenwind zerzauste den öffentlich-rechtlichen Sender Imevision ohnehin schon gehörig. Während Televisa ungeniert für harte Drinks und blauen Dunst die Werbetrommel rührt, bleibt dieser heiße Einnahmeofen für Imevision per Gesetz kalt.
Widerwillig knipste Imevision wegen der Einnahmenflaute einen Kanal nach dem anderen weg. Von ehemals vier Programmen blieb nur noch eines, zeitgleich auf zwei Sendeketten ausgestrahlt. Vorläufiger Schlußpunkt: Am Jahresende 1990 kündigte das zuständige Ministerium den Verkauf der Imevision-Überbleibsel an Privatunternehmer an. Damit verfügt Televisa praktisch über ein weltweit einzigartiges Privatfernsehmonopol — vierfach exekutiert, rund um die Uhr auf Sendung.
Ende November setzte es auch schon den ersten heftigen Schlag auf den Hinterkopf kulturbeflissener Mexikanos. Der Televisa-„Kanal 9“ stellte das Sendekonzept radikal um. Bis dahin galt er als anspruchsvoller Kultursender, freiwillig werbefrei. Die Spielfilme hatten Originallänge, während sie sich in den anderen Kanälen wegen der enervierenden Werbepausen endlos in die Länge zogen. Das Volk nahm die Umwandlung von „Kanal 9“ in einen kommerziellen Sender für die „ganze Familie“ gelassen. Wirklich betroffen ist ohnehin nur ein Bruchteil der Seherschaft. Die anderen versammeln sich allabendlich inbrünstig und demütig vor dem Schirm, und Televisa setzt ihnen den täglichen Schuß: „Telenovelas“.
Hirn, Herz und unverwüstliche Sprungfeder des Konzerns ist Emilio Azcarraga, dessen Vater zu Beginn der zwanziger Jahre den Grundstein für diese Meinungsmacht der Sonderklasse legte. Heute zählen neben den vier Fernsehkanälen noch die Filmdivision, Videofirmen, Kabelfernsehunternehmen, Musikfirmen und Verlage zum Imperium. Und was zu Televisa gehört, dominiert im Regelfall die betreffende Branche.
San Angel — monströses Filmfließband der Illusionen
Eine eindrucksvolle Mauer umgibt das Filmproduktionsareal im Herzen des Stadtteils San Angel. Sie symbolisiert die Schranke, die den mexikanischen Alltag von der Scheinwelt der „Telenovelas“ trennt. Die verwehrt — so die unmißverständliche Politik des Hauses — all jenen den Einblick, die alltäglich, allabendlich mit Hilfe der Bildschirm-Illusionen dem Alltag zu entfliehen suchen. Hier werden die Illusionen großindustriell gefertigt.
Hektische Betriebsamkeit erfüllt das Gelände. Im Mitteltrakt der Anlage sind zehn komplett ausgerüstete und bis zur Decke mit gebrauchten Dekorationen vollgestopfte Studios untergebracht. Schauspieler, Regisseur, Kameramann, Toningenieur, Maskenbildner und eine Handvoll Kabelträger im gelben Televisa- Overall arbeiten an der 139. Folge von Auch die Reichen müssen weinen (Ros Ricos tambien lloran). Die ersten Episoden dieser „Telenovela“ sind bereits täglich auf einem der Televisa-Kanäle zu sehen. Konzentriert, routiniert, ohne übertriebene Sorgfalt wird Szene auf Szene laut Drehplan abgespult, dem ewiggleichen Muster von Liebe und Haß, Armut und Reichtum folgend. In sechs Monaten sind die durchschnittlich hundertvierzig bis zweihundert Folgen einer „Telenovela“ abgedreht. Ein einziges Studio stellt jährlich rund zweihundert Programmstunden her, genug für mehr als eine Telenovela-Episode an jedem Tag des Jahres. San Angel hat zehn Studios und baut gegenwärtig an zwei zusätzlichen — Schleusen auf für die Programmflut!
Das Management hat den Trend der Neunziger voll im Griff. Was den europäischen Filmproduzenten den Angstschweiß auf die Stirne treibt, sorgt in San Angel für beschleunigtes Produktionstempo. Gnadenlos planiert die Kommerzdampfwalze den Globus ein, und mit der Zulassung privater Fernsehanbieter wächst der Bedarf an „Programm“ rasch. In diesem Expansionsmarkt erhofft sich Televisa — nicht ganz unrealistisch — ein großes Kuchenstück. Brasiliens „Rede Globo“, Konkurrent um die Vorherrschaft Lateinamerikas, zeigt, wie's geht. Nicht ganz so erfolgreich wie das brasilianische Vorbild vermarktet die Televisa-Tochter „Protele“ weltweit den seichten, aber ungemein populären Junk. Zu den Großkunden zählt neben Spanien und Italien auch China — das Tor zum Milliardenpublikum ist aufgestoßen.
Die Nase im Wind
Imevision, der Konkurrent ist kaputtgeschossen, Televisa bricht zu neuen unternehmerischen Ufern auf. Die Nase im Wind haben nicht nur die Programmproduzenten in San Angel, sondern auch die obersten Kader rund um Emilio Azcarraga. Immer das große Ziel vor Augen, zur bestimmenden Kraft Leteinamerikas, wenn nicht der ganzen spanischsprachigen Welt zu werden, kommen Azcarraga erneut seine freundschaftlichen Beziehungen zu Präsident Salinas zugute. Im September 1990 war Besuch aus dem fernen Osten eingeladen. Topmanager von NHK (Nippon Housou Kyoukai), der größten Fernsehanstalt Japans und kapitalpotenter Hi-Tech-Pionier, präsentierte in Mexiko das japanische System des hochauflösenden Fernsehens (HDTV). Dieses System soll dem Flimmern am Schirm ein Ende bereiten. In der Qualität eines Spielfilms im Kino kann damit zukünftig Fernsehprogramm empfangen werden. Lästiger Nachteil: Jede technische Einheit für die Sendeanstalt (Sender, Decoder usw.) kostet je rund 300.000 USA-Dollar, selbst für Televisa nicht aus der Portokasse zu bezahlen. Zwischen Chapultepec, San Angel und der Sendeanlage am Rande der Stadt „Pico tres Padres“ wurde während des Besuches ein Kurzversuch der Übermittlung gestartet. Für die Mexikaner eine Demonstration der neuen „Qualität des Sehens“, für die Japaner ein Feldversuch für die Übertragung unter erschwerten Bedingungen (Regenzeit).
Zum Empfang des hochauflösenden Fernsehens nach japanischer Norm sind neue Fernsehapparate notwendig. In globalen Marktdimensionen gerechnet, zählt sich für die Hardware-Hersteller Nippons jeder noch so teure Marketing-Ausflug. Noch sind die HDTV- Bildschirme allerdings unhandlich und viel zu teuer. Gegenwärtig müßten in Mexiko dafür zwischen acht und fünfzehntausend Mark hingeblättert werden. Wer kann das für den „Luxus“ Fernsehen aufbringen? Dem zuständigen Televisa-Manager Victor Rojas kostet die Frage ein müdes Lächeln. Er zuckt die Achseln und meint: „In den Slums rund um Mexiko und im ganzen Land fehlt es in der Tat an allem. Keine Straßen, keine Arbeit und kein Geld. Aber eines besitzen sie alle: einen Fernsehapparat. Den können sich diese Menschen eigentlich heute schon nicht leisen. Das gleiche wird passieren, wenn wir auf die neue Norm umstellen.“ Aber dieses rasch wachsende Bevölkerungssegment stellt ohnehin nicht die Zielgruppe für die Werbekunden dar, von denen Televisa lebt. Im ersten Ausbauschritt sollen nur jene 10.000 Haushalte der Metropole bedient werden, die sich eine solche Investition, ohne mit der Wimper zu zucken, leisten können. Auf diese Weise treibt die Konzernstrategie den Keil zwischen denen, die informiert sind, und jenen, die davon ausgeschlossen bleiben, tiefer ins Fleisch der mexikanischen Gesellschaft.
Der neue mexikanische Satellit mit dem völkerverbindenden Namen „Solidaridad“, dessen Inbetriebnahme für 1992 geplant ist, wird einen direktstrahlenden Transponder tragen. Dann können auch die Wohlhabenden außerhalb von Mexiko- Stadt flimmerfreies Fernsehen empfangen. Volkswirtschaftliche, demokratie- oder auch entwicklungspolitische Vernunft hinter dieser Entwicklung kann die Medien- und Kulturwissenschaftlerin Carmen Gomez-Mont nicht erkennen: „Das größte Problem ist die Plan- und Konzeptlosigkeit der Regierung, die rücksichtslos den Privatisierungsgedanken exekutiert.“
Mexikos Fernsehzukunft hängt voller Sterne. Bis in den letzten Urwald- und Wüstenwinkel werden die Mexikaner mit den grandiosen Liebes- und Gewaltoperetten vom Televisa-Fließband San Angel versorgt; und wenn es auch am nötigsten fehlt, zumindest das Fernsehbild wird eines Tages nicht mehr flimmern.
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