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BRUXOS UND MEIGAS

■ In der nordwestspanischen Provinz Galicien ist der glaube an Geister wach geblieben

In der nordwestspanischen Provinz Galicien ist der Glaube

an Geister wach geblieben

VONANTJEBAUER

Wenn man sich erschreckt oder traurig ist, dann kann es passieren, daß ein Geist in einen Knochen oder irgendein Organ des Körpers fährt.“ Senor Juanito deutet vage in Richtung seines Bauchnabels, „und dann fühlt man sich plötzlich schlecht“. Senor Juanito, etwa 80, mit einem kleinen Bauchansatz, sitzt den ganzen Tag unter den Arkaden der Plaza des Dorfes Pena und liest Zeitung. Wenn ihn ein böser Geist befällt, dann versucht er es als guter Galicier gar nicht erst mit den üblichen Ärzten, sondern macht sich auf den Weg zum Bruxo, dem Hexer seines Dorfes. Direkt neben dem Friedhof liegt das Domizil des Bruxos, des Senor Eladio.

Moderne Betonbauten. Alle Fensterläden sind heruntergelassen. Vom ausbetonierten Hof, gleichzeitig Wartezimmer des Herrn Eladio, hat man einen weiten Blick in das Tal. Im „Wartezimmer“ haben sich bereits ein Dutzend Leute eingefunden. Junge Paare im Sonntagsstaat zumeist, Arbeitsemigranten aus Barcelona oder sogar aus Frankreich und Belgien, die die weite Anreise nicht scheuen. Ein, zwei alte Frauen in Schwarz mit Kopftüchern aus dem Dorf. Senor Eladio hat einen guten Ruf. Er heilt sowohl körperliche Gebrechen als auch, wie es heißt, Liebeskummer.

Nach einigen Stunden Wartezeit — manchmal ist es ein ganzer Tag — wird man durch ein Garagentor in eine große Halle vorgelassen. Drinnen stehen Hunderte Klappstühle, die auf ein Podium ausgerichtet sind. Ein naiv gemalter Jesus hängt dort an der Wand und ein Plakat mit der Aufschrift: „Liebe, Frieden, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit“. Zweimal wöchentlich hält Senor Eladio hier Versammlungen ab, bei denen die Geister von Verstorbenen angerufen werden. Herr Juanito ist ein regelmäßiger Besucher dieser Treffen. Er gehörte schon dazu, als sie, unter Franco, verboten waren und im Geheimen abgehalten werden mußten.

Handauflegen und der rechte Sinn

In einem dunklen Eckchen sitzt Herr Eladio, der Hexer, und schaut sich die Besucher an; er macht erst Licht, als er entdeckt wird. Der Bruxo ist ein älterer, freundlicher Herr mit der Ausstrahlung eines Dorfarztes. Auf seinem Tischchen türmen sich Zettel und Kassetten, hinter ihm thronen weitere Kistchen und ein Schränkchen voller Medikamente aus der Naturmedizin. Wenn man das Richtige tue, sage und denke, dann brauche man eigentlich gar keine Medizin, doziert Senor Eladio leise und liest von einem Zettel ein Gebet vor. Er selbst sei seit fünfzig Jahren gesund. Die Krankheiten seiner Besucher fühle er, sagt er, und heile sie durch Handauflegen. Die Hauptsache für die Heilung sei allerdings die geistige Einstellung. Ins Detail seiner Methoden will Herr Eladio nicht gehen, schließlich kenne er uns nicht. Außerdem steht seine Frau neben dem Beratungstischchen und drängelt, er solle endlich die zahlenden Besucher drannehmen.

Heiler und irrende Seelen

Bruxos, Hexer, gibt es in Galicien zuhauf. Sie selbst nennen sich „Professor“ oder „Meister“. Hexer sind immer die anderen. Manche greifen inzwischen zu modernen Werbemitteln, wie beispielsweise Professor Maeso, der an verschiedenen Orten praktiziert und zwecks Bekanntmachung Handzettel verteilt. „Wenn Sie sich von Verwünschungen, dem bösen Blick, von anderen Personen erlittenem Übel, Voodoo, Haß befreien oder andere Personen beeinflussen wollen, besuchen Sie den Professor Maeso“, steht darauf. Doch die meisten der „Bruxos“ haben solche Methoden nicht nötig: Sie werden durch Mundpropaganda bekannt.

Nicht alle „Meister“, die der Staatsmedizin Konkurrenz machen, heilen durch Spiritismus. Pfarrer Antonio Fontes etwa, der im portugiesischen Dorf Vilar de Perdizes nahe der Grenze lebt und viele Spanier zu seinen Patienten zählt, schwört auf Kräuterheilkunde. Jedes Jahr hält er in seinem abgelegenen Ort einen internationalen Kongreß über alternative Medizin ab.

Andere Bruxos, heißt es, heilen Tiere durch Steinauflegen. Der Kult der Steine geht auf die Kelten zurück, als deren Nachfahren die Galicier sich betrachten. Doch nicht immer unternehmen die Galicier eine Reise zum Bruxo, wenn sie spirituelle Hilfe benötigen. In jedem Dorf gibt es eine Meiga, eine weise Frau, die mit Kräutergebräuen heilt, den bösen Blick verscheucht, die Liebe zurückbringt oder auch mal einem Dritten auf Wunsch schadet. Doch die Meigas verstecken sich, denn sie werden ebenso gebraucht wie gefürchtet.

Inquisition und Prozession der Seelen

In Galicien glaubt man auch an die Zeichen der Vorahnungen. Meist geht es dabei um den Tod. „Wenn ich von einem bestimmten geflügelten Tier träume, dann weiß ich, jetzt stirbt bald jemand“, berichtet der 34jährige Tonino. Manchmal riecht er auch unvermittelt Weihrauch, wo er nicht hingehört. Auch dannn stirbt innerhalb weniger Tage unweigerlich ein Mensch.

Der Tod wird von vielen vorhergesehen oder — gefühlt. „Die Menschen sterben nicht, sondern nur ihre Hülle, ihr Körper“, erklärt Senor Juanito auf seinem Stühlchen unter den Arkaden und läßt die Zeitung sinken. „Ihre Seele lebt weiter und bleibt hier. Um uns herum wimmelt es von Seelen.“ Um diese irrenden Seelen müssen sich die Lebenden kümmern. So stehen in ganz Galicien an wichtigen Wegkreuzungen Cruceiros, einsame Kreuze, die auf der Vorderseite den gekreuzigten Jesus und hinten die leidende Jungfrau tragen. Sie sollen den umherirrenden Seelen zur Orientierung dienen. An Allerseelen wird in manchen Orten ein Essen hergerichtet, an dem auch die Toten der Familie einen Teller mit einer Portion erhalten.

Die Toten werden respektiert, aber auch gefürchtet. Denn in ihrem Drang, sich vom Umherirren zu befreien, fügen sie manchmal den Lebenden Schaden zu. Wehe dem, der etwa in einer Nacht der Santa Compana, der Prozession der Seelen, begegnet. Wenn er nicht schnell einen Kreis um sich zieht, nimmt die Santa Compana ihn mit, wird in Galicien gesagt. Dann muß er mit dem Kreuz vorneweg laufen, bis er einem anderen unglücklichen Lebenden begegnet, der ihn ablöst.

Die Geschichten von der Santa Compana sind weit verbreitet. Meist werden sie von einem erzählt, der der Prozession nachts knapp entronnen ist und morgens zerrauft und zerkratzt in einem Brombeergestrüpp oder einem Graben aufgewacht ist. „Das Bild von der Santa Compana als einer Gruppe, die nachts mit Lichtern, einem Kreuz und Kettenrasseln ankommt und einzelne mitnimmt, ist vermutlich die Erinnerung an die Inquisition. Damals kamen sie nachts, um jemanden mitzunehmen, der dann nie wiederkam“, erläutert der Hobbyethnologe Xerardo Dasairas.

Die Furcht vor der Santa Compana mag inzwischen abgenommen haben. Die alte Dona Asuncion etwa glaubt nicht daran. Aber was die Geister angeht — „Ist Dir etwa noch nie ein Geist in die Knochen gefahren?“, fragt sie und richtet mechanisch ein Stück Brot auf dem Tisch auf. Auf der Kruste liegendes Brot zieht die Meigas an. Da muß man aufpassen.

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