: Nicht die Fortsetzung einer Politik, sondern: das Eingeständnis ihres Scheiterns
■ Robert Spaemann: Als "Aufklärung mit anderen Mitteln" verstand sich leider die Aufrüstung Saddams
Zu Frage 1)
Die UNO hat Krieg zur Wiederherstellung Kuwaits erlaubt, sie hat ihn nicht befohlen. Dazu wäre sie auch nicht befugt. Eine UNO-Exekutive, also eine Weltpolizei, existiert bisher nicht. Es bleibt im Ermessen jeden Staates, ob und wieweit er von dieser Erlaubnis Gebrauch machen will, um die Waffen wieder zu zerstören, die Ost und West dem irakischen Diktator — in voller Kenntnis seines Charakters und seiner Absichten — zuvor geliefert hatten. Unklarheit über die mittelfristigen politischen Ziele, das Gefühl, es mit einer Hydra zu tun zu haben, Ungewißheit über den eventuellen Einsatz von ABC- Waffen und über die Dimension ökologischer Schäden erklären jenes diffuse Grauen, das dieser Krieg erzeugt. Es ist ja ein Krieg, der nicht einmal erklärt wurde. Die eindeutige Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden ist teils durch die Ächtung des Krieges, teils durch den internationalen Terrorismus ohnehin seit langem im Schwinden.
Pazifismus als Gewaltverweigerung unter allen Umständen ist unpolitisch und daher nur als individuelle Haltung zu rechtfertigen. Politisch sich organisierender, als „Friedensbewegung“ auftretender Pazifismus trägt die Verantwortung für seine voraussichtlichen Konsequenzen. Die kollektive Entscheidung für Krieg oder Frieden erliegt, wenn sie gerechtfertigt sein soll, einer Güterabwägung und Folgenabschätzung. Dies ist in der gegenwärtigen Situation besonders schwierig. Der Maßstab für die Folgenabschätzung ist in erster Linie durch den Amtseid der Regierung definiert, Schaden vom eigenen Volk abzuwenden. Natürlich darf die Perspektive dabei nicht nur eine kurzfristige sein. Es gibt globale Langzeitschäden, die für kein noch so gerechtes Ziel in Kauf genommen werden dürfen. Im übrigen sind natürlich jene Bündnisverpflichtungen zu berücksichtigen, die ja ihrerseits im nationalen Interesse eingegangen wurden und dieses Interesse in dasjenige einer Bündnisgemeinschaft integrieren. Weder Kuwait noch Israel sind jedoch deutsche Bündnispartner. Deutschland ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, ihnen zu Hilfe zu kommen.
Zu Frage 2)
Ob eine der beiden Entscheidungen bequemer ist als die andere, kann nicht ausschlaggebend sein. Das Richtige ist nicht dadurch definiert, daß es schwer, daß Falsche nicht dadurch, daß es leicht ist. Allerdings ist, wo das Bequemere gut genannt wird, moralisches Pathos weniger am Platz als eine besonders kritische Selbstprüfung. Angst und „Betroffenheit“ sind unverzichtbare Formen der Realitätswahrnehmung. Sie sind keine moralischen Vorzüge und erst recht keine guten, d.h. vernünftigen Ratgeber, sowenig wie „Antiamerikanismus“.
Zu Frage 3)
Als „Aufklärung mit anderen Mitteln“ verstand sich leider vor allem die Aufrüstung Saddam Husseins im Krieg gegen den Iran, einem Angriffskrieg genau wie der gegen Kuwait. Damals galt Khomeini, der Angegriffene, im Westen als der Bösewicht schlechthin, weil er gegen einen aufgeklärten und emanzipatorischen Despoten, den Schah von Persien, der zudem dem Westen freundlich gesonnen war, einen fanatischen Fundamentalismus installierte, während Saddam Hussein seinerseits ein säkularistischer und laizistischer Despot war, also wie man — mit Ausnahme der Isarelis — annahm, niemals so menschenverachtend sein könnte wie ein religiöser Obskurantist. Die Welt hatte offenbar die Lektion der Lenin, Hitler und Stalin immer noch nicht gelernt. Vom Völkermord des „Aufklärers“ Khemal Pascha Atatürk an den Armeniern nach dem Ersten Weltkrieg ist ohnehin kaum die Rede. Wenn Saddam Hussein auch über die Kunst und den Zynismus verfügt, den religiösen Fundamentalismus der frustrierten arabischen Massen für sich zu instrumentalisieren, ist er doch selbst nicht weniger „aufgeklärt“ als der Marquis de Sade.
Um Demokratie scheint es mir im Golfkrieg erst recht nicht zu gehen. Kuwait ist keine Demokratie. Ohnehin ist die Gleichsetzung von Demokratie und Aufklärung ebenso falsch wie die Gleichsetzung eines von beiden mit Rechtsstaatlichkeit und Humanität. Das düstere Regime der Mullahs im Iran hat durchaus demokratische Züge. In Algerien gehen fortschreitende Demokratisierung und Anwachsen des islamischen Fundamentalismus Hand in Hand. Im Golfkrieg geht es weder um Demokratie noch um Aufklärung. Es geht um die Wiederherstellung der Souveränität eines UNO-Mitgliedsstaates, es geht um die Sicherung billigen Öls für die Weltwirtschaft — ein eher schädlicher Wunsch —, es geht um die Beseitigung der Existenzbedrohung für weitere Staaten, darunter vor allem Israel, und es geht schließlich um die Verhinderung eines möglichen grausamen Völkermords. Wenn man weiß, wie Saddam Hussein mit seinen arabischen Brüdern in Kuwait — mit Frauen und Kindern — umgegangen ist, so kann man sich ausmalen, wie er mit seinen Feinden umgehen würde. Im übrigen geht es leider auch ums Rüstungsgeschäft. Es sind nun einmal russische, englische, französische und deutsche Waffen, durch die nun die alliierten Soldaten getötet werden.
Es wäre unklug, wenn die europäische Welt ihre eigene Sicherheit und ihren Komfort auf dauerhafte Demütigung der islamischen Welt setzen würde. Nur mit einem selbstbewußten, seine antikolonialistischen Ressentiments hinter sich lassenden, also mit einem aufgeklärten Islam, wie er in Ägypten von Anwar el-Saddat verkörpert wurde, wird eine friedliche Koexistenz und sogar eine freundschaftliche Symbiose möglich werden. Eine Konferenz gleichberechtigter Mittelmeerstaaten, wie sie Präsident Mitterrand vorschlägt, könnte ein erster Schritt sein. Man darf die Fernwirkung eines solch repräsentativen Treffens nicht unterschätzen.
Vorsicht bleibt freilich am Platz. Die Araber wollen die Kreuzzüge nicht vergessen. So ist es vernünftig, Tour und Poitiers und die Belagerung Wiens vor erst 300 Jahren nicht aus dem kollektiven Gedächtnis zu tilgen. Der prinzipielle Anspruch auf Weltherrschaft ist im Islam tief verankert. Eine friedliche Symbiose wird allerdings vermutlich nur möglich sein, wenn die westliche Zivilisation ihre eigenen christlichen Wurzeln revitalisiert und sich nicht als atheistisch versteht. Denn für aufgeklärte Moslems ist eine atheistische Zivilisation per se irrational und destruktiv.
Zu Frage 4)
Ich halte die UNO nicht für eine antizipierte Weltregierung. Sie spiegelt die jeweilige, von den Regierungen interpretrierte Interessenlage der Großmächte wider. Da sie über keine eigene Exekutive verfügt, schon gar nicht über eine, die stärker ist als die Exekutive der stärksten Großmacht, kann sie die friedenserzwingende Kraft einer Weltregierung nicht besitzen.
Zu Frage 5)
„Krieg für den Frieden“ ist eine perverse Parole, die offenbar den Krieg für Pazifisten schmackhaft machen soll. Krieg ist nun einmal das Gegenteil von Frieden. Wer gewaltsamen Kampf für Freiheit oder Gerechtigkeit — und sei es auch nur in der extremen Situation des Krieges gegen Hitler — für gerechtfertigt hält, für den ist eben Frieden nicht das höchste Gut, für welches er jeden Preis zu zahlen bereit ist. Man kann einen Krieg für gerecht halten, ohne ihn als „Krieg für den Frieden“ auszugeben. Ob Krieg stattfindet, darüber entscheidet im übrigen immer der Verteidiger. Der Angreifer hätte es in jedem Fall am liebsten kampflos. Oft ist allerdings die erkennbare Bereitschaft zur gewaltsamen Verteidigung — an der es im Falle von Kuwait von seiten des Westens fehlte — das zuverlässigste Mittel, den Verteidigungsfall nicht eintreten zu lassen.
Deutschlands Verantwortung für den Frieden sowie für die Stabilität der Staatenordnung ist zur Zeit gering. Wir können gar nicht anders, als alle Kräfte auf die Vereinigung unseres Landes zu richten, wenn diese gelingen soll. Nach bewältigter Wiedervereinigung wird die Verantwortung wohl größer sein als vorher. Wir sollten aber in sie nicht sozusagen hineinrutschen, sondern sie sollte das Ergebnis einer neuen Definition unserer Interessen und Verpflichtungen in einem nationalen Dialog sein. Angesichts der Tatsache, daß Deutschland keine Weltmacht ist, keine ABC-Waffen besitzt und daß seine Armeestärke vertraglich auf 370.000 Mann begrenzt ist, wird die Verantwortung keinesfalls global sein können. Wahrscheinlich wird es aber einmal eine europäische Außenpolitik geben, an der Deutschland maßgeblich mitbeteiligt sein wird und die wiederum ihren Niederschlag in den Resolutionen der UNO findet.
Zu Frage 6)
Da sich deutsche Firmen leider an der Aufrüstung des Irak beteiligt haben, ergibt sich eine moralische Pflicht, Abwehrwaffen an Israel zu liefern. Im Prinzip aber gilt, daß Politik aus schlechtem Gewissen schlechte Politik ist. Eine Sicherheitsgarantie für Israel durch Deutschland ist aus verschiedenen Gründen ausgeschlossen:
1.Israel wünscht nicht von deutschen Soldaten verteidigt zu werden.
2.Angesichts der unter Punkt 5 genannten Beschränkung der Bundeswehr wäre Deutschland gegenüber einem Angriff der vereinigten arabischen Nachbarn auf Israel machtlos.
3.Hinzu kommt die geographische Lage. Allenfalls eine Weltmacht kann Israel Sicherheit garantieren. Aber auch hier bleibt die Frage, ob das auf die Dauer möglich sein wird. Jedenfalls wäre es nur dann möglich, wenn diese Weltmacht Israel die Bedinungen seiner Außen- und Sicherheitspolitik diktiert. Um aber wirklich in Sicherheit leben zu können, braucht ein kleiner Staat wie Israel befreundete Nachbarn. Dafür gibt es keinen Ersatz. Wenn dieser Staat nicht das Schicksal des fränkischen Königreichs Jerusalem erleiden will, muß es bereit sein, für seine Sicherheit einen hohen Preis zu zahlen, vermutlich sogar den der Zustimmung zu einer Internationalisierung Jerusalems, das Juden, Christen und Moslems heilig ist.
Der Autor ist Professor für Philosophie an der Universität München und Autor einer Kritik der politischen Utopie. 10 Kapitel politischer Philosophie (1977). Zuletzt erschien Glück und Wohlwollen. Ein Versuch über Ethik , beides bei Klett Cotta.
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