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Vom Anschieber zum Bremser

Die Attraktionen der Bob-Weltmeisterschaften im erzgebirgischen Altenberg unter besonderer Berücksichtigung sozialpolitischer Dimensionen  ■ Aus Altenberg Hagen Boßdorf

Altenberg liegt sechs Eisenbahntunnel hinter der sächsischen Landeshauptstadt Dresden kurz vor der Grenze zur Tschecheslowakei. Seine größten Attraktionen sind Katastrophen. 180 Jahre planloser Wühlerei brachten den nahegelegenen Berg im Jahre 1620 zum Einsturz. Es entstand die „Pinge“, ein gewaltiges Loch von hundert Metern Tiefe. Auch wenn diese Region bis heute weitgehend vom Grubensterben verschont blieb, ist es fraglich, ob die gewaltigen Mittel, die in den letzen Jahren in den maroden Zinnbergbau gepulvert wurden, das Überleben gewährleisten können.

Drei Jahre weiterer wilder Wühlerei reichten später aus, um den Nadelwald des Osterzgebirges bei Altenberg erhebliche Kahlschläge zu verpassen. Auch gegen den Bau einer Bob-Bahn wurde von Umweltschützern kaum protestiert, obgleich das Projekt grober Unfug war. Die kleine DDR hatte bereits eine Bahn, die sich allerdings bei Oberhof ins Tal schlängelte und zum Armee- Sportklub gehörte.

Altenberg war vom Stasi-Chef und Sportfan Erich Mielke zum Konkurrenzunternehmen zugunsten des Dynamo-Sportklubs aufgebaut worden, der im benachbarten Zinnwald eine Niederlassung mit Biathleten und Bobsportlern betrieb. Ein 80-Millionen-Prestigeobjekt wurde zu einem Denkmal der Unvernunft. Eigentlich sollte die Bahn pünktltich zu den Winterspielen in Sarajewo 1984 fertig sein. Doch bei den ersten Trainingsfahrten des olympischen Winters stellte sich heraus, daß sie leider nicht befahrbar war: immer in derselben Kurve kippten die Schlitten um. Am schlimmsten erwischte es den Doppelweltmeister von 1981 und dreifachen Olympiasieger Bernhard Germeshausen, der nach einem schweren Sturz seine Olympiachancen einbüßte.

Daraufhin erwies sich zum ersten und einzigen Mal der „militante“ Sponsor als nützlich: Zwei Baukompanien des Berliner Wachregiments wurden in Marsch gesetzt, die die zwei verkorksten Kurven aufrissen und die Bahn neu zusammenflickten. Erst bei den DDR-Meisterschaften im Frühjahr 1986, konnte die neue Attraktion eingeweiht werden.

Über solche Probleme kann der Lette Janis Kipurs im Moment nur müde lächeln. Der 31jährige gehört gewissermaßen zu den sportlichen Sehenswürdigkeiten der Weltmeisterschaft: ein Opfer aktueller Politik. Als Olympiasieger im Zweierbob 1988 beobachtet er nun, wie die russischen Besatzungen in den sowjetischen Bobs der Konkurrenz hinterherrutschen. Haben Kipurs und sein lettischer Landsmann Sintis Ekmanis (Europameister 1985) ihre Laufbahn beendet? „Wir sind fahrbereit“, winkt Kipurs ab, „aber bei der politischen Situation in Lettland ist ein Start für uns unmöglich.“

Der Lette, der seit 1979 für die UdSSR Bobrennen fährt und 1984 ihr erster Europameister war, entschied sich Ende Januar zum Startverzicht. „Einen Trainingsanzug mit den Buchstaben ,CCCP‘ auf dem Rücken kann ich nicht mehr anziehen. Die Buchstaben sind mit Blut befleckt.“ Kipurs hatte einst mit dem Letten Schnepts im Zweier begonnnen, seinen Olympiasieg in Calgary aber mit dem Russen Koslow geholt. „Koslow bleibt mein Freund“, betont der gelernte Malermeister, „wir haben doch keinen Konflikt mit den Sportlern, sondern mit der sowjetischen Regierung.“

„Früher habe ich Gorbatschows Politik glücklich und hoffnungsvoll betrachtet. Aber es wird immer schlechter.“ Der politisch engagierte Vater zweier Kinder ist besorgt über den Rechtsdrall der sowjetischen Politik. „Aber die Entscheidung fällt dieses Jahr. Entweder demokratische, selbständige Republiken oder Militärdiktatur.“

Dann würden sich so oder so auch Kipurs sportliche Probleme lösen. Auswandern in ein anderes Land kommt für ihn nicht in Frage. „Wir sind auch nach Altenberg gekommen, um für einen separaten lettischen Bobverband einzutreten.“ Nur für Lettland würde er seine sportlichen Talente weiter in den Schlitten hieven, was in diesem Winter so selten geschah. Da die Sowjetunion wegen der hohen Kosten nicht am ersten Weltcup-Rennen in Calgary teilnahm, wurde sie aus der ersten Startgruppe verbannt. Daraufhin zog sie sich von mehreren Rennen zurück und gilt auch bei den Weltmeisterschaften als chancenlos.

Ein Trauerfall ganz eigener Art ist die Boblegende der DDR, Meinhard Nehmer. Der heute 52jährige fuhr in den 70er Jahren die DDR-Bobfahrer aus der Namenlosigkeit in die Weltspitze. Der Doppel-Olympiasieger von 1976 wurde später Testpilot des ostdeutschen Bobverbandes. Heute ist er arbeitslos. Nehmer, der in Altenberg als Ko-Kommentator des Deutschen Fernsehfunks (DFF) arbeitet, lebt heute auf Rügen im Haus seines Vaters, in dessen Ausbau er sämtliche Ersparnisse gesteckt hat. „Der Gang aufs Arbeitsamt war der schlimmste meines Lebens“, meint der einstige Wunderpilot, der dieses Schicksal mit seiner Frau teilt. „Als ich mich in die Reihe stellte, richteten sich alle Blicke auf mich, mir war das so peinlich.“

Meinhard Nehmer hatte auf einen Job im Kraftfahrzeugbereich gehofft, hatte auch eine Umschulung begonnen, „aber mit 52 Jahren nimmt mich sowieso keiner mehr“. Noch vor wenigen Jahren kamen Angebote von Bob-Schulen aus aller Welt, die ihn als Trainer engagieren wollten. Davon hat der 15fache Medaillengewinner bei internationalen Meisterschaften aber nie erahren, weil die DDR-Sportführung die Angebote geheimhielt.

In Altenberg hätte Nehmer beinahe den sportlichen Absturz seines Nachfolgers als Doppel-Olympiasieger, Wolfgang Hoppe, erlebt. Hoppe sollte in der Vierer-Entscheidung ins Rennen gehen, bummelte aber im Training. Der Ersatzfahrer Volker Dietrisch aus Zinnwald war mehrmals schneller, siegte auch im Stichrennen. Dennoch nominierte Bundestrainer Raimund Bethge den erfolgreichsten Bobfahrer der Gegenwart. Der Dank von Wolfgang Hoppe: zweite Plätze in den letzten Trainingsläufen.

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