Die MVA als Müllvermehrungsmaschine

Die verblüffende ökologische Gesamtbilanz einer Müllverbrennungsanlage  ■ Von Manfred Kriener

„Insgesamt gesehen ist die Abfallentsorgung in der Bundesrepublik Deutschland geregelt und gut organisiert.“ Seite 352 im Umweltbericht 1990 von Minister Klaus Töpfer. „Nicht nur bei der Sonderabfallentsorgung, sondern zunehmend auch beim Hausmüll bestehen bereits heute in der Bundesrepublik Deutschland gravierende Engpässe bei Abfallentsorgungsanlagen.“ Seite 386 im Umweltbericht 1990 von Minister Klaus Töpfer. Das nennt man Dialektik.

Müllverbrennungsanlagen („Abfallentsorgungsanlagen“) sind die Atomkraftwerke der 90er Jahre. Hier hat sich in den letzten Monaten der umweltpolitische Streit zugespitzt wie bei keiner anderen Technologie. Aufgeschreckt von den schlimmen Berichten über hohe Erkrankungsraten und vermutete Krebshäufigkeiten im Umfeld der Anlagen, machen Ärztekammern und Bürgerinitiativen mit wachsendem Erfolg gegen Müll-Pyromanen mobil. Wo immer in Deutschland eine Verbrennungsanlage gebaut werden soll, gehen die BürgerInnen bis hinein in die örtliche CDU- und CSU-Prominenz auf die Barrikaden. „Zustimmung ist ein knappes Gut“, heißt die neue Erkenntnis nicht nur der Bonner Müllmänner. Sie sehen in der Bundesrepublik einen Sofortbedarf für zwanzig weitere Müllverbrennungsanlagen.

Während sich die Gegner der Müllverbrennung hauptsächlich auf Gesundheitsgefahren durch Emissionen (vor allem Dioxine) berufen, hat jetzt der Hamburger Wissenschaftler Michael Braungart eine zweite, verblüffende, aber überzeugende Argumentationslinie entwickelt. Er versucht nachzuweisen, daß die aufwendige Produktion und der Bau einer Müllverbrennungsanlage selbst soviel Energie frißt und dabei so viele Abfälle hinterläßt, daß eine MVA mindestens ein Jahrzehnt betrieben werden muß, um ihre eigene Abfall- und Energiebilanz einigermaßen auszugleichen. Da eine MVA aber nicht so lange läuft, ohne mit neuen Filtersystemen und anderen Materialien nachgerüstet und erneuert zu werden, könne sie ihre Energie- und Abfallbilanz kaum einholen. „Die MVA ist nichts anderes als eine Müllvermehrungsmaschine.“

Braungart weist vor allem auf die „ungeheuer aufwendige“ Herstellung von Aktivkohlefiltern oder die rohstoffverschlingende Produktion eines 46 Millionen Mark teuren Katalysators hin, wie er jetzt in der Müllverbrennungsanlage Bielefeld eingesetzt wird. Buntmetalle, die zur Herstellung einer MVA in großen Mengen nötig sind, würden in immer geringeren Konzentrationen mit immer größeren Abfallmengen immer mühsamer gewonnen. Beim Abbau von Chrom, Mangan, Nickel und Kupfer in Südafrika entstehen, so Braungart, riesige toxische Potentiale und Abfälle an Schlämmen, Grubenwässern und anderen Rückständen, die selbst wiederum aufwendig zu entsorgen seien. Auch der nach längerer Betriebsdauer mit riesigen Schadstoffmengen hochverseuchte Kohlefilter werde wiederum zum Entsorgungsproblem.

Der Hamburger Wissenschaftler will endlich eine Orientierung entlang von ökologischen Gesamtbilanzen, um langfristig vernünftig zu wirtschaften. Eine solche Gesamtbetrachtung verlange auch eine neue Rohstoff-Strategie. Es sei „aberwitzig“, Kupfer in Konzentrationen zu gewinnen, bei denen eine Tonne Rohstoff auf 200 Tonnen Abfälle komme, wenn gleichzeitig Fernseher, Computer und Autos mit all ihren Rohstoffen in riesigen Verbrennungsöfen einfach eingeschmolzen würden. Die Ex-und-hopp-Mentalität ist ungebrochen.

Intelligente Produktlinien, bei denen die Rohstoffe und Komponenten aus Altprodukten wiederverwendet werden, sind für Braungart der einzige Ausweg aus der Müll-Falle. Tatsächlich macht die industrielle Produktion mit ihren gigantischen Abfallmengen den Hauptanteil des Abfallberges aus. Der Hausmüll- Anteil lag demgegenüber nur wenig über fünf Prozent.

Diese Gewichtsverteilung wirft auch ein Licht auf das engagierte Bemühen vieler Haushalte, Müll einzusparen. Bei der Herstellung eines einzigen Autos fallen mit 24,4 Tonnen genauso viele Abfälle an, wie 100 Bundesbürger im Jahr an Hausmüll produzieren. Da fragt sich so mancher Zeitgenosse, welchen Sinn es noch macht, Aludeckel von Joghurtbechern abzulösen und zur Sammelstelle zu tragen. Manfred Kriener