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Eine Amerikanerin in Berlin

Wenn „Der Pate III“ auf dem Programm steht, kommt man um eine ernsthafte Beschäftigung mit diesem Film nicht herum. Das verlangt allein schon der künstlerische Anspruch der beiden ersten Teile dieser Trilogie, auch wenn „Der Pate III“ filmisch weniger überzeugend ist. Wieder einmal geht es um das klassische Thema: die Macht, die jedem ihre Gesetze aufzwingt, der sich auf ihre lockenden, alles zerfressenden Versprechungen einläßt. Um seine Macht zu erhalten, handelt man immer nur im Interesse der Macht, auch wenn es gegen Familie und Freunde geht. Wenn man das nicht mehr kann, wie Marlons Brandos Pate in Teil I und Al Pacino in Teil III, kann man nur noch die Zügel der Macht aus der Hand legen, ehe ein anderer sie an sich reißt. Leider wirkt Pacino in „Der Pate III“ selbst in seiner Krise — er möchte ins normale bürgerliche Leben zurückkehren — zu wenig überzeugend, zu wenig gequält, und daran leidet der Film. Immer wieder entgleitet ihm die Rolle des Paten, und die zahlreichen Dialogzitate aus Teil I machen das nur noch schlimmer: man erinnert sich, wie souverän und überzeugend Brando diese Rolle ausfüllte. Pacino war als Don weit glaubwürdiger, als er noch 18 Jahre jünger war. Erst in der Schlußphase, als Pacino verkündet: „Wir sind in Sizilien, alles ist eine Oper“, hebt „Der Pate III“ wirklich ab. Der Rest der Films ist in der Tat eine Oper — grandios und voller Theatralik.

Mike Leighs „Life Is Sweet“ fällt durch ein merkwürdiges Ungleichgewicht auf: alle Frauenszenen sind ganz hervorragend, die Männerszenen dagegen völlig verkorkst. Thema dieser erweiterten Filmversion einer Fernsehfamilienserie ist das Auf und Ab im Leben einer Arbeiterfamilie. In der Rolle der Mutter, die gelernt hat, alles mit Lachen zu ertragen, gelingt es Alison Steadman, Autorität und Albernheit überzeugend miteinander zu verschmelzen. Die großen und kleinen Krisen ihrer beiden erwachsenen Töchter werden mit viel Verständnis und Genauigkeit geschildert — eine Seltenheit auf der Leinwand (und noch viel seltener bei einem männlichen Autor/Regisseur). Die eine (Claire Skinner) löst den Konflikt zwischen Unabhängigkeit und Weiblichkeit auf ihre Weise: sie wird Klempnerin. Die andere (Jane Horrocks) leidet an anorexischer Bulimie und tobt ihre sexuelle Lust an Schokolade aus. Die Konfrontation zwischen Steadman und Horrocks ist voller Tempo und Schärfe — eine der wenigen Darstellungen von Mutter und Tochter-Konflikten, die weder in Rührseligkeit noch in absurde Lächerlichkeit abgleiten. Dagegen verdiente „Postcards from The Edge“ (Grüße aus Hollywood), in den Abgrund gestoßen zu werden.

Mike Leigh bewältigt das alles mit Humor und Eleganz und scheitert nur an den Figuren des Ehemanns und seiner fröhlichen Kumpanen — getreu dem Klischee sind diese übergroße Babys, die ständig trinken, sabbern und sich übergeben. Diese Szenen bemühen die gleichen übertriebenen Slapstick-Effekte, an denen schon Leighs letzter Film („High Hopes“) krankte. Wenn Leigh wirklich recht hätte, dann sollten wir alle heterosexuellen Männer in Wohnheime stecken.

Vor zwei oder drei Jahren erschien Anne Hollanders Buch „Moving Pictures“. Darin beschäftigt sie sich mit verschiedenen Stilrichtungen der Malerei, die sie „proto-cinematisch“ nennt. Das beste Beispiel hierfür ist die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts. In diesen Bildern entstehen — so Hollander — durch die zahlreichen Schattenzonen visuelle Leerstellen, die es — ähnlich wie die 24 mal in der Sekunde aufflackernden Bilder des Films — dem Betrachter überlassen, die erzählerischen und emotionalen Lücken selbst auszufüllen. Während das Theater, die Oper und zum Beispiel auch die italienische Malerei dem Betrachter Objekte zeigen, mit denen er sich identifizieren kann, leben die holländische Malerei wie auch der Film davon, daß sie den Betrachter bzw. den Zuschauer einladen, die verbleibenden Schattenbereiche mit Hilfe ihrer eigenen Phantasie auszumalen.

Hollander hätte kein besseres Beispiel für diese Art filmischer Faszination finden können als Alexander Sokurows „Der zweite Kreis“. Wie bei vielen vorherigen Arbeiten dieses Regisseurs (und auch bei Tarkowski) beziehen die braun-grauen Bilder dieses Films ihre Wirkung aus der geschickten Verteilung von Licht und Schatten. „Der zweite Kreis“ handelt von einem jungen Mann, der den Leichnam seines verarmten Vaters für die Bestattung vorbereitet (mit all den mühsamen körperlichen und bürokratischen Schwierigkeiten, die dabei zu überwinden sind). Er wirkt wie ein zum Leben erwachtes Gemälde eines holländischen Meisters. Angesichts des überaus sparsamen Dialogs ist es vor allem der Kontrast zwischen blendender Helligkeit und dunklen Schatten, der dem Zuschauer die nötigen Informationen liefert und die Emotionen des Films bestimmt. Jede neue Passage beginnt mit einer Totalen — vergleichbar dem Blick auf das Gemälde als Ganzes —, an die sich eine Folge extremer Nahaufnahmen anschließt, ähnlich wie Bildausschnitte mit Details des Gesamtfilms als „bewegtem Bild“. Nur in Sokurows eigenem oeuvre (aber auch bei Tarkowski) findet man ähnlich eindrucksvolle, fast schmerzhaft schöne Filme dieser Art, deren formale Gestaltung — der sorgfältig modulierte Kontrast von tiefschwarzer Dunkelheit und gleißendem Licht — die absolute Hoffnungslosigkeit der erzählten Geschichte unterstreicht und spiegelt. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Hans Harbort

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