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UdSSR-Premier Pawlow empfiehlt sich

Pawlow kündigt zu Beginn der neuen Sitzungsperiode des Obersten Sowjet Preisreformen an und beruhigt mit sozialem Härteausgleich/ Vom Schatalin-Plan ist nichts geblieben/ Noch kein Datum für die Ratifizierung des Vertrages BRD-UdSSR  ■ Aus Moskau K.-H. Donath

„Lassen Sie uns den langen Marathon beginnen“, ermunterte Parlamentsvorsitzender Anatolij Lukjanow zum Auftakt der 5. Sitzungsperiode des Obersten Sowjets der UdSSR die Deputierten aus den Sowjetrepubliken. Drei Monate liegen vor ihnen, in denen sie über 50 Gesetzesprojekte und eine Preisreform befinden sollen. Nur wenige Abgeordnete werden jedoch Lukjanows Motto zu ihrem eigenen machen: kämpfen und fair bleiben. Auch das knappe Drittel parlamentarischer Neulinge fügt sich in die konservative Grundierung des Obersten Sowjet ein.

Hauptredner des ersten Tages war der neue Premier Walentin Pawlow. Ihm stand die schwierige Aufgabe bevor, den Deputierten die Notwendigkeit einer Preisreform näherzubringen. Schon vergangenes Jahr hatte der geschaßte Premier Ryschkow einen ähnlichen Anlauf genommen und war prompt damit gescheitert. Pawlow, der als vorangegangener Finanzminister die drohende Hyperinflation im Lande zu verantworten hätte, wollte den Abgeordneten gleich den Wind aus den Segeln nehmen: Einer Preisreform müsse auf jeden Fall eine finanzielle Ausgleichsleistung für die schwachen Bevölkerungsschichten vorausgehen. Das Volk vertraue den Versprechungen der Regierung nämlich nicht mehr. Währenddessen nestelte der schweißtriefende Premier mit seinem karierten Taschentuch hinter seinen Ohren. Pawlows Preiskorrektur unterscheidet sich kaum von der administrativen Politik seines Vorgängers. Mit dem im Herbst diskutierten Schatalinprogramm, das eine gestaffelte Freigabe aller Preise vorsah, flankiert durch weitreichende Privatisierungen von Staatsbesitz, hat es nichts gemein. Auch wenn Pawlow den Eindruck zu erwecken sucht, die Kontinuität der Reformen zu wahren: Er war es, der im Herbst hinter den Kulissen die Reformen unterminierte und erbittert gegen Schatalin kämpfte. Sollte das Parlament der Preiserhöhung wieder die Zustimmung versagen, könnte sie der Präsident diesmal mittels eines Erlasses einfach verfügen.

Das Reformpaket sieht vor, die seit 30 Jahren stabil gehaltenen Preise für Fleisch, Brot, Milch und Fisch zu verdoppeln bis zu verdreifachen. Auch die Tarife für Dienstleistungen, öffentliche Verkehrsmittel und Eisenbahn sollen fast um 100 Prozent angehoben werden. Der Staat will aber 85 Prozent der Steigerungen kompensieren. Der Durchschnittsverdienst soll von 230 auf 310 Rubel monatlich erhöht werden. Von den Veränderungen ausgenommen werden Medikamente und Energieträger: Benzin, Kohle, Gas, Strom und Wodka. Für 1991 kündigte Pawlow eine Kürzung der Subventionen auf ein Drittel an. Etwa 30% der Preise, hauptsächlich für Konsumgüter, will er freigeben.

Das Parlament der Russischen Föderation (RSFSR) hatte letzte Woche die Reform mit Zweidrittelmehrheit abgelehnt. Zur Begründung hieß es, sie würde den Lebensstandard auf ein katastrophales Niveau senken. Die staatlichen Zuwendungen würden andererseits die Inflation ankurbeln und weitere Preiserhöhungen bewirken mit der Gefahr einer Hyperinflation. Außerdem sei sie schlecht geplant und fände keine Unterstützung bei denen, die sie durchzusetzen hätten.

Der Ratifizierung des Deutsch- sowjetischen Vertrages steht zwar außer Frage, ein Termin wurde aber trotz des Drängens von Kohl noch nicht festgelegt.

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