: Griesches Probevorlesung „antisemitisch“
■ Sozialwissenschaftlerin Klein-Schonnefeld „bestürzt“ / Offener Brief an Hochschul-Rektor
Bei seiner Probevorlesung hat der umstrittene Professorenamts-Bewerber Detlef Griesche (SPD) ein Thesenpapier vorgelegt, bei dem es sich „um ein — dem Verfasser wohl nicht bewußt — antisemitisches Papier“ handelt (vgl. taz v. 15. und 16.2. und den obenstehenden Artikel). Dies stellt mit „Bestürzung“ die Sozialwissenschaftlerin Sabine Klein-Schonnefeld in einem Offenen Brief an den Rektor der Hochschule für Öffentliche Verwaltung fest, in der Griesche einen Posten bekommen soll.
(Zitate aus dem Griesche-Papier im folgenden kursiv, d.Red.) „10 Thesen zum Thema: Der Nah- Ost-Konflikt als Palästina-Konflikt“ hatte Griesche, Gründer und Vorsitzender der Deutsch- Palästinensischen Gesellschaft, aufgestellt. „Da der Text keine (politik-)wissenschaftlichen und/ oder methodischen Ausführungen enthält“, so Klein-Schonnefeld, reagiere sie auf seine „allgemein politischen“ Aussagen öffentlich:
Wenn Griesche die komplexe Konfliktsituation im Nahen Osten...kausal“ auf die Entstehung Israels zurückführt, so Klein- Schonnefeld, verschweigt er „a) die Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten und b) die koloniale Neuordnung des Nahen Ostens nach dem 2. Weltkrieg“. Die Intifada wird von Griesche „nicht in den Kontext der europäischen Judenvefolgung“ gestellt, sondern „auf das Ende des 19. Jahrhunderts datiert“. „Gemeinhin“, so Klein-Schonnefeld, „gilt als Beginn der Intifada das Ende des Jahres 1987, wobei die Ursachen in der Annexion der von Israel besetzten Gebiete gesehen werden“.
In seiner 4. These behauptet Griesche „naturrechtliche Ansprüche der Araber auf Palästina“. Klein-Schonnefeld dazu: „Unabhängig davon, daß es 'das' Naturrecht nicht gibt, (...) daß, wenn es naturrechtliche Ansprüche 'der' Araber auf dieses Gebiet gäbe, mit der identischen Denkfigur ebensolche Ansprüche für die Israelis begründet werden könnten, (... repräsentiert) ein auf ('Blut und) Boden'gegründetes Naturrecht 'völkischer Lebensgemeinschaften' meines Wissens eine relativ moderne, nämlich nationalsozialistische Version des Naturrechts“.
Griesche spricht von der „Absurdität des strukturellen Prinzips des Staates Israel, daß jede Person jüdischer Abstammung egal aus welchem Land der Erde jederzeit israelitischer Staatsbürger werden und ohne die geringste Bindung an Israel dort immigrieren kann, während in Jerusalem geborene Palästinenser in ihrem eigenen Land zu Bürgern zweiter Klasse erniedrigt und heimatlos werden“. „Diese Absurdität“, so Klein-Schonnefeld, entspricht deutscher Rechtslage, und „mir persönlich stockt der Atem, wenn ein deutscher Politikwissenschaftler 1991 von Personen 'jüdischer Abstammung' spricht, ohne die entsprechenden Assoziationen aus der nationalsozialistischen Rassenlehre mit zu reflektieren.“
Der Schluß der Sozialwissenschaftlerin: „Eine Blindheit gegenüber der Geschichte und den aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus (...) disqualifiziert den Verfasser in meinen Augen, Angehörige des Bremischen Öffentlichen Dienstes zu unterrichten.“ S.P.
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