: Hoffen auf Europa
■ Die Europäische Gemeinschaft soll Irlands Frauen aus ihrem insularen Gefängnis befreien EUROFACETTEN
Die irische Verfassung aus dem Jahr 1937 weist Frauen ihren Platz in der Gesellschaft zu: Die Väter der Verfassung glaubten, daß der Platz einer Frau im Haus ist, möglichst als Ehefrau und Mutter — in dieser Reihenfolge. Diese Bestimmungen sind jedoch nicht bindend. Sie sind vielmehr Ausdruck des staatlichen Wunschdenkens. Zwar haben irische Regierungen wiederholt die Bevölkerung zur Wahlurne gebeten, um per Referendum einige der konstitutionellen Bestimmungen zu ändern und sie mit modernem Gedankengut in Einklang zu bringen, doch die oben erwähnten Artikel gehörten nie dazu.
Diese Artikel sind es wert, vollständig zitiert zu werden. Sie besagen, daß „Frauen durch ihr Leben zu Hause dem Staat die Unterstützung geben, ohne die das Gemeinwohl nicht erreichbar wäre. Keine Frau darf durch wirtschaftliche Notwendigkeit dazu verpflichtet sein, sich mit Arbeit unter Vernachlässigung ihrer häuslichen Pflichten zu beschäftigen.“ Wenn man diese Sätze wortgetreu interpretiert, würde das bedeuten, daß kein Mann jemals eine Küche betreten dürfte. Außerdem wären sämtliche Männer für sämtliche Frauen unterhaltspflichtig. Wie gesagt: Das ist lediglich Wunschdenken, doch irische Männer schwenken ebenso gerne und prahlerisch die Verfassung, wie US-amerikanische Männer die Stars und Stripes.
Zum Glück für Irinnen werden die Bestimmungen der verschiedenen Institutionen der Europäischen Gemeinschaft ernster — sogar wörtlich — genommen. Seit Irland sich 1972 an die EG gebunden hat, haben Frauen mehrmals ihre Klagen erfolgreich nach Brüssel, Straßburg und Luxemburg getragen und sich die Institutionen der EG — insbesondere den Vertrag von Rom — zunutze gemacht. Resultat war, daß wir Reformen in den Bereichen Soziales, freie Rechtshilfe und Gesundheit durchgesetzt haben. Das deutlichste Beispiele für die Vorteile der EG-Mitgliedschaft war die Bestimmung der Gemeinschaft, daß alle Mitgliedsstaaten ab Neujahrstag 1976 Lohngleichheit einführen mußten. Die irische Regierung — daran gewöhnt, jede rechtliche Bestimmung ernst zu nehmen — erklärte, es sei unmöglich und würde Jahre dauern, solche Maßnahme durchzusetzen. Flugs marschierten die irischen Frauen zum Dubliner Parlament, riefen das „Hauptquartier“ in Brüssel an, flogen rüber und forderten ein Eingreifen — und die Arbeitgeber der Republik Irland wurden gezwungen, umgehend zu zahlen.
Die europäische Gesetzgebung konzentriert sich auf die Rechte des Individuums — ganz im Gegensatz zum sektiererischen Stammesethos, der der irischen Verfassung zugrundeliegt und bis heute zum Beispiel die Einführung von Ehescheidung und Abtreibung verbietet. Doch auch gegen diese Artikel wird zur Zeit vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt. Es ist die Mitgliedschaft in der EG, die es den irischen Frauen ermöglicht hat, dem insularen Gefängnis, zu dem Irland geworden war, psychologisch zu entkommen. Nach konventionellem sozialistischem Denken ist die EG ein Paradies für multinationale Arbeitgeber. Feministisches Denken bezieht eine radikal andere Position: Die EG repräsentiert ein potentiell riesiges Arbeiterkollektiv, multikulturell und pluralistisch, in dem sich schwesterliche Kraft entfalten kann und der Papst seine eigenen Spaghetti kochen muß. Nell McCafferty
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